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Ein liberaler westdeutscher Journalist lobt den Fortschritt in der DDR (1986)

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Leben in der DDR – das heißt Leben in der Knautschzone. Es heißt auch: Leben unter Erich Honecker. Die Bürger des anderen deutschen Staats bringen ihm fast so etwas wie stille Verehrung entgegen; in Gesprächen schlägt sie immer wieder durch. Wohl vermeidet er sorgsam jeden Personenkult. Es heißt nie: «seit Erich Honeckers Amtsantritt»; es heißt stets: «seit dem VIII. Parteitag». Doch läuft das auf dasselbe hinaus. Die meisten Neuerungen gehen auf das Jahr 1971 zurück, in dem Honecker die Nachfolge Walter Ulbrichts antrat. Realismus statt Utopie, Vertrauen auf die Macht des Faktischen; bessere Befriedigung der materiellen Bedürfnisse; weniger Angst, mehr Angebot; Intensivierung der Produktion; Ankurbelung des Dienstleistungssektors; Umweltschutz; neue Freiräume für Kunst und Künstler; sogar die Einführung von Sexualberatungsstellen – alles wird Honecker gutgeschrieben und zugute gehalten. «Honi» nennt ihn keiner, das ist westlicher Sprachgebrauch und wird als genierlich empfunden. Er heißt «der Chef», «der Erste» oder einfach Erich. «Erich währt am längsten», heißt ein kabarettistisches Lied im jüngsten Programm der Berliner «Distel». Der Titel verrät etwas von der heimlichen Zuneigung derer, die seinem Regiment unterstehen.

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Quelle: Theo Sommer, Hg., Reise ins andere Deutschland. Reinbek, 1986, S. 17 f., S. 35 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990. München, 1993, S. 41-42.

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