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Arnold Brecht zur Novemberrevolution (Rückblick 1966)

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Auch Scheidemann sagte in demselben Prozeß: “Wir haben keine Revolution vorbereitet, wir haben keine Revolution gewollt, sondern wir standen einfach auf die Bitten hin und auch schließlich aus eigenem Pflichtbewußtsein vor der Frage, was tun wir in diesem Augenblick des furchtbarsten Elends unseres Volkes?”

Das Treffen mit Groener war am 6. November. Aber unter dem Eindruck der Ereignisse an der Küste und ihres Übergreifens auf den Süden und Westen waren die Massen auch in Berlin kaum mehr zu halten. Darauf sandte am 7. November die Mehrheitssozialdemokratie ihr Ultimatum an die Reichsregierung, das heißt an den Prinzen Max und sein Kabinett, mit der (an sich legalen) Ankündigung, daß sie ihre Vertreter aus dem Kabinett und den Ämtern zurückziehen würde, wenn die Abdankung nicht bis zum 8. November mittags vorliege. Grund: sonst laufen uns die Arbeiter weg und gehen zu den Unabhängigen und Spartakisten über.

Scheidemann war gewillt, noch bis zum Abschluß des Waffenstillstandes in der Regierung zu bleiben, damit eine verhandlungsfähige Regierung da sei. Es wurde bekanntgegeben, daß die Frist für das Ultimatum aus diesem Grunde verlängert worden sei, die Arbeiter möchten sich noch „um einige Stunden“ gedulden. Aber als am Abend des 8. November die Abdankung noch immer nicht vorlag, traten die Mehrheitssozialisten aus der Regierung aus. Am 9. morgens gab sie die Parole zum Streik aus: „Heraus den Betrieben!“

Noch am Vormittag des 9. machte Prinz Max dann die Abdankung bekannt. Erst später erfuhr man, daß er das auf Grund bloß telefonischer Mitteilung aus dem Hauptquartier, „der Entschluß sei gefaßt und müsse nur noch formuliert werden“, getan hat und daß nach geschehener Veröffentlichung die Nachricht aus dem Hauptquartier eintraf, der Kaiser wolle nur als Kaiser, aber nicht als König von Preußen abdanken. Prinz Max hatte schon auf Grund der ersten telefonischen Mitteilung gehandelt, um den Übergang der aufgeregten Massen von den Mehrheitssozialisten auf die Unabhängigen und Spartakisten und damit den Ausbruch der gewaltsamen Revolution und die Abschaffung der Monarchie, wenn möglich, zu verhindern.

Er hatte anschließend – und zwar, wie er selbst schreibt, auf Rat von Simons – in einer kühnen, aber sachgemäßen Auslegung der geschichtlichen Rolle, die ihm als dem höchsten Organ der Reichsregierung in dieser Stunde zufiel, Friedrich Ebert als dem Führer der größten Partei des Reichstags die Geschäfte des Reichskanzlers übertragen. „Ich lege Ihnen das Deutsche Reich ans Herz“, sagte er. Ebert antwortete: „Ich habe zwei Söhne für dieses Reich verloren.“ Prinz Max verabschiedete sich von den Beamten der Reichskanzlei, bat sie, ihre treuen Dienste auf Ebert zu übertragen, und verließ Berlin.



Quelle: Arnold Brecht, Aus nächster Nähe, Lebenserinnerungen 1884-1927. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1966, S. 187-89.

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