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Arnold Brecht über die letzten Kriegswochen (Rückblick 1966)

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Am Ende der Sitzung tritt der Gedankengang des Reichskanzlers klar hervor. Er weist darauf hin, daß auch nach den weitestgehenden – von dem Prinzen selbst anscheinend nicht geteilten – Hoffnungen Ludendorffs der Krieg nur auf beschränkte Zeit fortgesetzt werden kann, daß inzwischen mit dem Abfall der beiden noch übrigbleibenden Verbündeten bestimmt zu rechnen ist und daß sich nunmehr die Frage erhebt: Steht man am Schluß besser oder schlechter als heute? Ludendorff ist der Auffassung, daß es keine schlechteren Bedingungen gibt.

LUDENDORFF: „Ich habe den Eindruck, ehe wir durch diese Note Bedingungen auf uns nehmen, die zu hart sind, müßten wir dem Feinde sagen: Erkämpft euch solche Bedingungen.“

DER REICHSKANZLER: „Und wenn er sie erkämpft hat, wird er uns dann nicht noch schlechtere stellen?“

LUDENDORFF: „Schlechtere gibt es nicht.“

DER REICHSKANZLER: „O ja, sie brechen in Deutschland ein und verwüsten das Land.“

LUDENDORFF: „So weit sind wir noch nicht.“

Der letzte Satz weicht dem Gedankengange des Reichskanzlers aus.* Denn die Möglichkeit der Abwehr ist auch nach Ludendorffs jetziger Ansicht zum mindesten ungewiß, und die Frage war gerade die, wie die politische Lage sich nach weiterem vergeblichen Widerstande gestalten werde. Der Reichskanzler geht offenbar davon aus, daß es noch schlechtere Bedingungen gibt. Zwar stellt die letzte Note des Präsidenten Wilson scharfe und kränkende Modalitäten des Waffenstillstandes in Aussicht. Auch diese Note hält aber für den eigentlichen Friedensvertrag an den Punkten des Präsidenten fest. Wenn es wirklich gelänge, den Krieg noch einige Monate fortzusetzen, so würde man am schlimmen Ende diesen Boden nicht mehr unter den Füßen haben. Aber nicht nur das, mit Sicherheit würden Tod und Elend weiter schrecklich gewütet haben. Die Zahl der unglücklichen, schwer Kriegsverletzten hätte sie nutzlos vermehrt. Die Zerstörung Belgiens und Nordfrankreichs durch die Kämpfe und durch einzelne, auch bei Milderung der zuletzt geübten Praxis unvermeidlich bleibende Eingriffe auf dem Rückzug würde fortgesetzt und die Verwüstung in das eigene Land getragen sein. Die materielle Last hätte sich ins Unendliche gesteigert. Auch Frankreich und Belgien zittern vor dem weiteren Vormarsch und vor der mit ihm in jedem Falle verbundenen weiteren Zerstörung. Darin erblickt die Reichsleitung eine Stärke der momentanen politischen Lage; denn die Gegner haben dadurch auch ihrerseits ein großes Interesse an sofortigem Waffenstillstand, mehr als etwa nach dem Erreichen der deutschen Grenze.

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Es folgt die deutsche Antwort vom 20. Oktober. Diesmal besteht eine sachliche Differenz mit der Obersten Heeresleitung. Sie tritt hauptsächlich wegen der Einstellung des U-Boot-Krieges zutage. In einer vor Absendung der Note einberufenen Besprechung mit deutschen Auslandvertretern (Rosen, Graf Brockdorff-Rantzau, Graf Metternich) hatten diese sich übereinstimmend für das Entgegenkommen in der U-Boot-Frage ausgesprochen. Es wird die Hoffnung geäußert, daß nicht gerade im jetzigen Augenblick die unglückliche Torpedierung eines amerikanischen Passagierdampfers dazwischenkommen möge. Aber gerade jetzt trifft die Nachricht von der Torpedierung der „Leinster“ ein und verschärft die Stimmung in den Vereinigten Staaten

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* Ludendorff hat sich nach der Veröffentlichung meiner Vorbemerkung heftig dagegen gewandt, daß ich geschrieben hatte: „Der letzte Satz weicht aus.“ Ich habe hier zur Klarstellung des Sinnes die Worte „dem Gedankengange des Reichskanzlers“ eingefügt.

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