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Frauen als Verlierer der Einheit? (Oktober 1999)

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Doch ungeachtet aller Schwierigkeiten sehen sie auch weiterhin Berufstätigkeit als wesentlichen Bestandteil ihrer Lebensplanung an. Verklausulierte Versuche, ihnen diese Haltung als eine Art Verstoß gegen gesamtgesellschaftliche Interessen anzukreiden, stoßen auf Empörung. So etwa, als die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen feststellte: „Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen ist auch ein Grund für die höhere Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Wäre in West- und Ostdeutschland die Erwerbsbeteiligung von Frauen gleich, gäbe es bei den Arbeitslosenanteilen keine Unterschiede mehr.“ In Kurzform: Mütter bleibt zu Hause bei euren Kindern.

Gegen einen solchen Trend spricht allerdings auch die Entwicklung im Westen, wo der Anteil von Arbeitnehmerinnen in den letzten Jahrzehnten deutlich zunahm. Die Zahl der Rückkehrerinnen nach einer „Babypause“ stieg zwischen 1984 und 1992 um das Vierfache. Im Osten vertreten 68 Prozent, im Westen 53 Prozent der 16-bis 24jährigen die Ansicht, eine Frau sollte ihre Berufstätigkeit nur für die Dauer des Erziehungsurlaubs unterbrechen. Je höher die Qualifikation, desto größer sind die beruflichen Ambitionen. In dieser Beziehung halten ostdeutsche Frauen einen deutlichen Vorsprung: 1989 hatten nur 12,3 Prozent aller weiblichen Erwerbstätigen in der DDR keine abgeschlossene Berufsausbildung, im Westen lag der Anteil mehr als doppelt so hoch.


Neue Machos

Es kann kaum verwundern, daß im Osten insbesondere viele Frauen über 50 der Marktwirtschaft wenig Sympathie entgegenbringen. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen sind nicht mehr gefragt, und sie fühlen sich zu Recht als Verliererinnen. Fast 80 Prozent der Arbeitslosen vertreten die Ansicht, daß sich seit der „Wende“ vor allem ihre soziale Sicherheit verschlechtert habe. Auch unter Erwerbstätigen ist diese Meinung weit verbreitet.

Die ostdeutsche Journalistin Dorotea Lieber, heute im Journalistinnenbund und im Deutschen Frauenrat aktiv, dürfte vielen aus dem Herzen sprechen, wenn sie konstatiert, das gesellschaftliche Umfeld in der DDR habe die Männer daran gehindert, „den Macho raushängen zu lassen“. Heute könnten sie das „unbekümmert tun, weil sie meinen, sich jetzt einem neuen Rollenbild anpassen zu müssen“. Frau Lieber glaubt zwar nicht, daß die Frauen im Osten „gleichberechtigter“ seien als im Westen – „aber die Einstellung zum Beruf und zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Mann war selbstverständlicher und selbstbewußter.“

Diese Erfahrung wirkt ebenso fort wie die unterschiedliche Frauen- und Familienpolitik. In der DDR wurde die außerhäusliche Tätigkeit forciert und begünstigt, während in der Bundesrepublik die formale Entscheidungsfreiheit durch unzulängliche Rahmenbedingungen eingeschränkt war und ist. Dementsprechend halten es im Osten immer noch 70 Prozent der Frauen für ideal, Mutterschaft und Vollbeschäftigung miteinander zu verbinden. Dafür votieren im Westen nur 16 Prozent, während sich 51 Prozent auf Familienpflichten und Teilzeitjobs orientieren. Tendenzen zu mehr partnerschaftlichem Verhalten sind in der jüngeren Generation durchaus vorhanden. Die weitere Entwicklung wird auch davon abhängen, inwieweit die Gleichstellungspolitik, die schon zu einigen Fortschritten geführt hat, neue Maßstäbe setzt.

„Wir Frauen aus dem Osten“, sagt Kerstin Riehle, seit 1990 Gleichstellungsbeauftrage in Görlitz, „haben den Vorteil, Vergangenheit und Gegenwart in zwei unterschiedlichen Systemen vergleichen zu können. Und manche Dinge, die hier . . . als Visionen gelten, die haben wir real erlebt.“ Doch der Preis sei hoch gewesen. Rund um die Uhr beschäftigt, sei man gar nicht dazu gekommen, über die eigene Situation und das weibliche Rollenspiel nachzudenken. Heute gelte es, sich „besser zu verkaufen“. „Wir haben doch etwas anzubieten.

Viele Frauen aus den neuen Bundesländern sind gut ausgebildet und haben sich durch ständige Qualifizierung noch gesteigert. Diese Ressourcen an Wissen und Erfahrung sollen die Unternehmen nutzen und nicht verkommen lassen. Zumal wir Frauen dadurch, daß wir immer Beruf, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen mußten, perfekte Organisatorinnen sind.“



Quelle: Gisela Helwig, „Perfekte Organisatorinnen“, Das Parlament, Nr. 43-44, 22./29. Oktober 1999, S. 14.

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