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Kanzlerdemokratie unter Gerhard Schröder (26. Juli 2002)

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Management von Öffentlichkeiten.

Aktiv bedient sich Schröder auch der Medien. Entscheidungen sollen über Stimmungen herbeigeführt werden. Going public: das gehörte bislang zu den wichtigsten Instrumenten der amerikanischen Präsidenten, die systembedingt immer neue parlamentarische Mehrheiten schmieden müssen. „Telepolitik“ umfaßt jedoch nicht nur die medienwirksame Darstellung der Politik, vor allem durch Personalisierung. Was sie zum Kennzeichen des Tageskanzlertums macht, ist das permanente Regieren im Wahlkampfstil. Tägliche Umfragen, extreme Demoskopiefixierung sichern die Rückbindung an fluide Wählerstimmungen. Regieren gleichsam im Minutentakt ist die Antwort auf den Rollenzuwachs der öffentlichen Arena und die Aushöhlung der Parteien und Koalitionsdemokratie, in der Schröder nur eine Quelle seiner Macht sieht – neben anderen.

Sein Handeln orientiert sich an den Erfolgsbedingungen der Medienöffentlichkeit. Aufmerksamkeit ist Zweck an sich, zugespitzte Personalisierung nützt, medienwirksames Auftreten ist wichtiger als verschwiegenes Verhandeln. Stimmungen gehen Mehrheiten voran. So erscheint die Kanzlermehrheit in der Berliner Republik nur noch als eine von vielen Machtressourcen.

Die Liste ist verlängerbar. Deutlich sichtbar wird, daß der politische Entscheidungsprozeß gewissermaßen in zwei Segmente zerfällt. Auf der einen Seite funktioniert die repräsentativ-parlamentarische Demokratie in ihren tradierten Bahnen. Daneben steht mittlerweile ein neues Regulierungsmodell, in dem alles Repräsentative zur Kulisse verdammt ist. Der neue Regierungsstil transformiert bewährte Spielregeln und Institutionen auf die Projektionsfläche des Präsentativ-Plebiszitären, indem Regeln offen gebrochen oder stillschweigend umgangen werden. Modernes Regieren bedient sich so spielerisch und situativ der Versatzstücke der parlamentarischen Demokratie. Regieren ist in diesem Politikmodell noch weniger als vorher Richtunggeben, eher eine führungsstarke Moderation, die auf frei floatende Stimmungen in der Aufregungsdemokratie reagiert. Marktgerechte Inszenierung und das Management von Öffentlichkeiten sind eine strategische Antwort der Politik auf wählerische Wähler, die immer kurzatmiger und kurzsichtiger entscheiden, nach Situation und vermeintlicher Eigennutzmaximierung.

Wo Mehrheiten tagespolitisch wechseln, antwortet die Politik geschmeidig. In so einer Demoskopiedemokratie kontrolliert nicht mehr die Opposition, sondern die Stimmung in der Bevölkerung, die wiederum die politische Elite mit immer feineren Sensoren mißt und bewertet. Das kann über lange Zeit ein probates Rezept sein. Doch zu den Erfolgsbedingungen der Präsidentenrepublik gehört ein wichtiger Baustein, der im Augenblick wegzubrechen droht: eine nicht geschlossen handelnde parlamentarische Opposition, welche die Regelverstöße zuläßt, weil einzelne Akteure – vor allem die Ministerpräsidenten – davon profitieren.



Quelle: Karl-Rudolf Korte, „In der Präsentationsdemokratie. Schröders Regierungsstil prägt die Berliner Republik“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 2002. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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