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Das System Kohl (28. September 1998)

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Kenner Kohls sind davon überzeugt, daß er die Runderneuerung der CDU aus ziemlich eigennützigen Motiven betrieb und die angeheuerten Reformer und Modernisierer nur als „nützliche Idioten“ betrachtete. Eine Hausmacht auf Zeit, die er brauchte, um sich gegen die alten Kräfte in Partei und Bundestags-Fraktion durchzusetzen und ins Kanzleramt zu kommen.

„Die CDU erneuern, um die Macht zu gewinnen, keine Experimente, um sie zu erhalten, das wäre die Lösung des Rätsels Kohl“, schreibt der Publizist Warnfried Dettling, der viele Jahre als Leiter der Planungsgruppe und Chef der politischen Abteilung in der Bundesgeschäftsstelle gearbeitet hat.

Daß er damit nicht falsch lag, zeigen die Vorgänge des Jahres 1989, als im Vorfeld des Bundesparteitages eine Gruppe von Reformern unter der Führung von Heiner Geißler und Lothar Späth den CDU-Vorsitzenden zu entmachten versuchten. Der „Putsch“ scheiterte kläglich. Und Kohl degradierte ohne Skrupel und Sentiment seine Kritiker und Rivalen zu Randfiguren.

Von diesem Zeitpunkt an war die CDU nur noch ein Anhängsel des Kanzleramtes. Die jeweiligen Generalsekretäre ließen sich von Kohl schurigeln. Die Riege der Stellvertreter im Parteivorsitz nahm in der Öffentlichkeit kaum jemand wahr, weil sie nichts Wegweisendes zu sagen hatte. Innovation erschöpfte sich weitgehend in technischer Aufrüstung. Und das christdemokratische Fußvolk marschierte brav hinter dem Kanzler her, solange der als Wahlkämpfer erfolgreich war.

1989, als sich für Kohl im Jahr darauf eine Niederlage bei der Bundestagswahl abzeichnete, rettete ihn der „revolutionäre Herbst“ in der DDR und die Bereitschaft Michail Gorbatschows, die deutsche Einheit zuzulassen. Eine historische Chance, die Kohl mit seinem sicheren politischen Instinkt entschlossen nutzte. Mit der Folge, daß er 1990 als „Kanzler der Einheit“ über die SPD triumphierte und auch 1994 mit diesem Nimbus noch einmal, wenn auch nur knapp, als erster durchs Ziel ging.

Doch wer genauer hinsah, mußte feststellen, daß die Ergebnisse von Mal zu Mal schrumpften. Von 48,8 Prozent 1983 auf 41,4 Prozent im Jahr 1994. Zusammen mit den Liberalen betrug der Vorsprung gegenüber der Bonner Opposition gerade noch 0,3 Prozent. Oder anders gerechnet 142 682 Stimmen. Noch deutlicher zeigte sich der Machtverfall der CDU in den Bundesländern.

Wenn Kohl bei Jubiläen und anderen feierlichen Anlässen von der „einzigartigen Erfolgsgeschichte“ der CDU redet, unterschlägt er in der Regel die Schattenseiten. Zum Beispiel den rasanten Mitgliederschwund. Hatten 1992 713 000 Menschen ein CDU-Parteibuch, waren es Ende August 1997 nur noch 636 285. Zugleich ist die CDU mit Kohl alt geworden. Fast zwei Drittel aller Mitglieder sind 50 Jahre und älter.

Gewiß ist der Vorsitzende für diese Auszehrung nicht allein verantwortlich. Die Milieus, die mit den Volksparteien auch die Gesellschaft stabilisiert haben, werden schwächer oder lösen sich auf. Die soziale Bindekraft schwindet. Nicht nur bei Parteien, sondern auch bei Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden.

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