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Das Ende der Ära Kohl (28. September 1998)

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Bei aller Unempfänglichkeit für den von ihm so genannten „Zweifelwurm“ hat sich Helmut Kohl auf diesen Gebieten letztlich doch von linker Dauerkritik beeindrucken lassen. Der Standardvorwurf hieß: soziale Kälte. Letztlich doch konsensualer veranlagt, als es die manchmal bellende Art nahelegt, hat der Kanzler hier mitunter zu unentschieden gesprochen und gehandelt. Die Nähe zu Blüm mag da fatal gewirkt haben, weil sie soziale Solidarität auf zentralstaatliche Umverteilung verlagert hat, anstatt die Voraussetzung für Wohlstand, Arbeitsplätze und soziales Gleichgewicht durch mehr Leistungsanreize zu schaffen.

Hätte Kohl zu Beginn seiner letzten Amtszeit entschiedener gehandelt, hätte er die Früchte selbst ernten können – und wäre wohl wiedergewählt worden. Gestolpert ist er nicht über soziale Kälte, sondern über zuviel Sozialromantik.

Gerhard Schröder muß nun da ansetzen, wo Helmut Kohl zu früh aufgehört hat. Ob aus Schröder dabei ein „Clintonblair“ wird, steht zu bezweifeln. Die Unterschiede sind evident: Blair hat seine Partei verändert, Schröder nicht. Schröder hat einen Traditionslinken Lafontaine hinter und über sich, Clinton nicht. Und sowohl Blair als auch Clinton hatten Vorgänger, die wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen geschaffen haben, von denen die beiden Staatsmänner profitieren konnten. Schröder nicht. Schröder hatte keinen Reagan und keine Thatcher, deren strikten marktwirtschaftlichen Kurs er sozial veredelt fortsetzen könnte. Schröder muß das Unpopuläre selbst tun.

Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er begeht die Reform-Grausamkeiten, die Kohl nie begangen hat oder wegen der Bundesrats-Blockade nie begehen konnte, zum hellen Entsetzen seiner Partei ganz am Anfang. Dann stabilisiert er das Land und sich. Oder er gerät in den Sog Lafontaines, dann koppelt sich Deutschland von der Globalisierung ab und wird zur Krisenregion.

Was Deutschland innenpolitisch in den nächsten Jahren vor allem braucht: eine investitionsfördernde und arbeitsplatzschaffende Steuersenkung, eine grundlegende Reform der Sozialsysteme, eine menschenrechtlich konsequente Regelung der Zuwanderung, eine opferorientierte Sicherheitspolitik und eine leistungsbezogene Bildungsreform.

An Stollmann werden wir die SPD messen. Stimmt es, daß, wer Schröder wählte, Lafontaine bekommen wird? Wenn Lafontaine im Auftrag der traditionslinken Parteibasis den Unternehmer Stollmann als Modernisierer der SPD wegbeißt, ist eingetroffen, was viele befürchten: Stollmann war ein PR-Gag und Schröder, die Medienfigur, ein Trojanisches Pferd. Anderenfalls wäre Gerhard Schröder der neue starke Mann, der Deutschland in die Berliner Republik, in das vereinte Europa und in das Jahrhundert der Globalisierung führen wird.



Quelle: Mathias Döpfner, „Sieg der Achtundsechziger“, Die Welt, 28. September 1998.

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