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Hoffnungen und Befürchtungen am Vorabend der Osterweiterung (26. April 2004)

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Allein diese Zahlen zeigen, welche Dimension der neue Aufbau Ost hat. Die Probleme sind durchaus vergleichbar, der Lösungsansatz aber könnte kaum unterschiedlicher sein: Ostdeutschland bekam nicht nur die D-Mark eins zu eins – sondern auch das westdeutsche Sozialsystem, während die Wirtschaft auch wegen der schnellen Anpassung der Löhne an das Westniveau schlagartig zusammenbrach. Seither hängt der Osten Deutschlands am Tropf des Westens.

Auch die EU wird durch die Osterweiterung – statistisch betrachtet – erst einmal schwächer und ärmer, das durchschnittliche BIP sinkt dramatisch. Die bisherigen Mitglieder werden in diesem Jahr voraussichtlich ein BIP von 9600 Milliarden Euro erwirtschaften, die ehemaligen Ostblockländer bringen gerade mal 450 Milliarden hinzu. Nimmt man alle Beitrittsländer, inklusive Slowenien, Zypern und Malta, steigt das BIP um rund neun Prozent. An Fläche und Bevölkerung gewinnt die neue EU dagegen rund ein Drittel hinzu.

Besonders bei den Ländern, die jahrzehntelang jenseits des Eisernen Vorhangs lebten, wird es mindestens eine Generation dauern, bis sie sich dem EU-Standard auch nur annähern. Das Wohlstandsgefälle ist gewaltig, in Polen oder der Slowakei sind beinahe 20 Prozent der Menschen arbeitslos.

Klar ist, dass die neuen Ossis finanzielle Transfers, wie sie nach der Wiedervereinigung nach Ostdeutschland flossen, nicht zu erwarten haben. Aber ohne Hilfe aus dem alten Europa wird es auch nicht gehen – und auch nicht ohne Streit, wie und welche Region künftig gefördert wird.

Zwischen 2007 und 2013 will die EU-Kommission insgesamt 336 Milliarden Euro für den Ausgleich der Lebensverhältnisse innerhalb der EU ausgeben. Allein 80 Prozent davon entfallen auf die Förderung jener Regionen, deren Pro-Kopf-Einkommen unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt.

Dieser Wert aber sinkt durch die Osterweiterung von rund 16 800 auf 15 300 Euro. 17 von 50 bisher geförderten EU-Regionen würden deshalb nach letztem Datenstand künftig leer ausgehen, darunter fast alle Regionen Ostdeutschlands – obwohl sich an den Lebensverhältnissen dort überhaupt nichts geändert hat.

Andererseits haben in den 10 neuen Ländern 36 von insgesamt 41 Regionen Anspruch auf Hilfe aus Brüssel. In ihnen leben 69 Millionen Menschen, 92 Prozent der Bevölkerung aller Beitrittsstaaten.

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Quelle: Michael Fröhlingsdorf, et al., „Der Preis des neuen Europa“, Der Spiegel, 26. April 2004, S. 100 ff.

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