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Junktim zwischen europäischer und deutscher Vereinigung (1990)

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Diese deutsche Initiative wurde auf dem Straßburger Gipfel selbst aber nur wenig positiv gewürdigt. Im Vordergrund standen zunächst bei manchen Staats- und Regierungschefs offenbar die politischen Sorgen im Zusammenhang mit einer deutschen Wiedervereinigung. Helmut Kohl sprach später davon, dass er »niemals einen EG-Gipfel in so eisiger Atmosphäre miterlebt habe« und sich einer »fast tribunalartigen Befragung« ausgesetzt gesehen habe.* Seine Vorschläge für die weiteren Arbeiten zur Wirtschafts- und Währungsunion wurden zwar am Schluss von Präsident Mitterrand aufgegriffen, aber zunächst nur zum Teil. Zwar stellte dieser am Schluss der Sitzung fest, dass »die erforderliche Mehrheit« (Frau Thatcher hatte nicht zugestimmt) für die Einberufung der Regierungskonferenz für die Vertragsverhandlung zur Wirtschafts- und Währungsunion vor Ende 1990 gegeben sei, die Entscheidung über die vom Bundeskanzler gleichfalls vorgeschlagene Regierungskonferenz für die weiteren institutionellen Reformvorhaben wurde jedoch zunächst vertagt. Präsident Mitterrand wollte offensichtlich die Vertragsverhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion nicht mit Kontroversen über die politische Union belasten. Er sprach deshalb nur von einer »Perspektive der Konföderation, die noch gefunden werden muss«.**

Erst nach mehreren bilateralen Gesprächen zwischen Kohl und Mitterrand kam es für den Gipfel am 25./26. Juni 1990 zu einem gemeinsamen französisch-deutschen Vorschlag für eine zweite Regierungskonferenz, der dann auch von den anderen Teilnehmern akzeptiert wurde. Aus deutscher Sicht war damit – zumindest formal – die sogenannte Parallelität zwischen den Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion und über die politisch-institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft gewährleistet. Inhaltlich blieb aber diese Parallelität schon damals weitgehend offen. Hinzu kam, dass die Zuständigkeiten innerhalb der Regierungen für diese Parallelverhandlungen unterschiedlich verteilt waren. Während die Hauptverantwortung für den Wirtschafts- und Währungsteil bei den Finanzministern lag, waren die Außenminister primär für die politisch institutionelle Weiterentwicklung zuständig. Und in diesem Bereich hat es trotz vielfältiger Bemühungen in der Folgezeit nur begrenzte Fortschritte gegeben, wie die Ergebnisse der Gipfel von Amsterdam (1997) und Nizza (2000) deutlich gezeigt haben. Ähnliches gilt leider auch für den jetzt zur Ratifizierung anstehenden sogenannten Verfassungsvertrag.



* Helmut Kohl, Ich wollte Deutschlands Einheit, Berlin 1996, S. 195.
** Hans Jürgen Küsters, „Nach dem Fall der Mauer“, in Die Politische Meinung. Monatsschrift zu Fragen der Zeit, Januar 2003, S. 41.



Quelle: Hans Tietmeyer, Herausforderung Euro. Wie es zum Euro kam und was er für Deutschlands Zukunft bedeutet. München und Wien, 2005, S. 138-41.

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