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Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Maastricht aus dem Weg geräumt (3. November 1993)

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Das Gericht behält sich vor, Verfassungsbeschwerden gegen Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft für zulässig zu erachten, wenn gerügt wird, daß deren Rechtsgrundlagen nicht vom Zustimmungsgesetz gedeckt sind. Damit hat es seine frühere Auffassung geändert, nach der Akte der EG der Überprüfung durch die deutsche Gerichtsbarkeit entzogen waren. Bekräftigt hat das Gericht, daß sich beim Grundrechtsschutz BVerfG und Europäischer Gerichtshof (EuGH) im Sinne eines „Kooperationsverhältnisses“ gegenseitig ergänzen. Dies bedeutet, daß der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das BVerfG sich dagegen auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken kann.

Das Gericht betont die maßgebliche Rolle der weiterhin souveränen Mitgliedstaaten in einem Staatenverbund. Die Mitgliedstaaten bleiben „Herren der Verträge“ und als solche an den auf unbegrenzte Zeit geschlossenen Unionsvertrag gebunden. Sie könnten diese Zugehörigkeit aber letztlich durch „gegenläufigen Akt“ wieder aufheben. Das Gericht bejaht Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinschaft. Dabei gelte das Gebot der Gemeinschaftstreue im Sinne einer wechselseitigen Rücksichtnahme auf die Verfassungsprinzipien und elementaren Interessen der Mitgliedstaaten.

Zugleich trifft das Gericht wichtige Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit künftiger Entwicklungen der Europäischen Union, die mit dem Vortrag der Bundesregierung im Verfahren übereinstimmen und im wesentlichen schon bisher als gemeinschaftsrechtliche Prinzipien Geltung haben:

– Die Notwendigkeit der Transparenz der Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und der jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen.

– Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Dies bedeutet, daß die Gemeinschaft ausdrücklich nicht befugt ist, sich selbst unter Berufung auf Vertragsziele neue Kompetenzen ohne formelle Vertragsänderung zu verschaffen (keine „Kompetenz-Kompetenz“). Art. F Abs. 3 EUV (Mittelausstattung der Union) ist als bloßer Programmsatz auszulegen.

– Die Übertragung neuer Aufgaben nur durch Vertragsänderung, d. h. hinreichend bestimmte Festlegung von weiteren Hoheitsübertragungen und der beabsichtigten Integrationsprogramme durch Zustimmungsgesetze.

– Die Betonung des Subsidiaritätsprinzips als Begrenzung der Ausübung von Gemeinschaftskompetenzen.

– Die Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Regelungsintensität von Gemeinschaftsmaßnahmen.

– Die Nichtanwendbarkeit von Gemeinschaftsakten bei Überschreitung der im Vertrag vorgesehenen Kompetenzen. Damit verbundene verfahrensrechtliche Fragen hat das Gericht nicht behandelt.

Das Gericht sah keinen Anlaß, sich unter den gegenwärtigen Umständen mit der Frage zu befassen, ob das Grundgesetz eine deutsche Mitgliedschaft in einem europäischen Staat erlaubt oder ausschließt. Seine Ausführungen zu dieser Frage lassen aber erkennen, daß es – bei Vorhandensein bestimmter „vorrechtlicher“ Voraussetzungen, die sich im Laufe der Zeit im institutionellen Rahmen der Europäischen Union entwickeln könnten – eine weitergehende Integration für möglich hält.

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