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Die Bedeutung der europäischen Integration (2. Februar 1996)

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Heute ist unser Blick wieder frei auf die Werte und Traditionen, die die Menschen und Völker unseres Kontinents verbinden. Von „Rückkehr nach Europa“ sprach Václav Havel. Schon deshalb sprechen nicht nur außenpolitische und wirtschaftliche Argumente für den Beitritt von mittel- und südosteuropäischen Staaten zur Europäischen Union. Die Erweiterung der Union ist im Kern eine Frage dessen, was der Vertrag von Maastricht „die Identität Europas“ nennt. Prag oder Krakau sind mitteleuropäische Städte! Für mich ist es nicht vorstellbar, daß beispielsweise die Westgrenze Polens auf Dauer die Ostgrenze der Europäischen Union bleibt. Ich empfände es als eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn die Kraft Europas mit seiner Erweiterung nachließe. Ich fände es jedoch ebenso verhängnisvoll, wenn Europa seine Kraft nur aus der Abgrenzung schöpfen könnte. Wir werden in den nächsten Jahren nachzuweisen haben, daß man ein sinnvolles Europa auch mit 15 und mehr Staaten aufbauen kann.

Aber zugleich gilt auch: Es darf nicht sein, daß das langsamste Schiff auf Dauer das Tempo des Geleitzugs bestimmt. Sollten einzelne Partner nicht bereit oder in der Lage sein, bestimmte Integrationsschritte mitzuvollziehen, so darf den übrigen nicht die Möglichkeit genommen werden, voranzugehen und eine verstärkte Zusammenarbeit zu entwickeln, an der mitzuwirken allen Partnern offensteht. Die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, daß diejenigen, die zunächst zögerten, dann doch gekommen sind, weil die Kraft des Faktischen sie dorthin geführt hat.

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Quelle: Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Katholische Universität am 2. Februar 1996 in Löwen/Belgien, Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 12, 8. Februar 1996; abgedruckt in Internationale Politik, Nr. 8, 1996, S. 82-84.

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