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Die Bedeutung der europäischen Integration (2. Februar 1996)

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Zweitens: Die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Innen- und Rechtspolitik muß verbessert werden. Das ist für mich kein Verlust von nationaler Souveränität, wie viele meinen. Ich meine, daß die Vernunft uns angesichts eines wahren „Generalangriffs“ des international organisierten Verbrechertums, der Mafia, und des Terrorismus gebietet, in vielen Bereichen gemeinsam zu handeln. Die Bürger der Länder Europas haben einen Anspruch auf Sicherheit. Wenn wir von Sicherheit sprechen, so sprechen wir im Regelfall von der äußeren Sicherheit, aber äußere Sicherheit ist nur möglich, wenn die innere Sicherheit in unseren Ländern gewährleistet ist. Deswegen plädiere ich bei den Verhandlungen für „Maastricht II“ nachdrücklich dafür, daß wir das Notwendige tun.

Drittens muß die Europäische Union effizienter und handlungsfähiger werden. Dazu gehört unbedingt auch, daß sie für den Bürger transparenter, leichter verständlich wird. Legitimität erwächst ganz wesentlich aus dem Verständnis der Bürger für die politischen Vorgänge und Entscheidungen.

Schließlich gilt es, das Europäische Parlament, aber auch die nationalen Parlamente stärker am Prozeß der europäischen Einigung zu beteiligen. Die Kompetenzverteilung zwischen den Organen der Europäischen Union und nationalen oder regionalen Institutionen muß stärker als bisher dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen. Ich bin mir sicher, daß dies Prioritäten nicht nur für die Deutschen sind. Aus Gesprächen mit meinen europäischen Freunden weiß ich, daß auch hier in Belgien und in unseren Nachbarländern sehr ähnliche Betrachtungen angestellt werden. Gewiß bin ich mir vor allem, daß dies die Bürgerinnen und Bürger in Europa, vor allem die jungen Menschen, so sehen.

Der Europäische Rat in Madrid am 15. und 16. Dezember letzten Jahres hat mich in dieser Überzeugung nochmals bestätigt. Uns Deutschen ist sehr wohl bewußt, daß deutsche Einheit und europäische Einigung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Natürlich ist damit die „Europäische Agenda 2000“ nicht erschöpfend dargelegt. Die Wirtschafts- und Währungsunion stellt für uns zur Zeit sicherlich eine der größten Herausforderungen – auch im psychologischen Bereich – dar. Im Zusammenhang mit ihrer Vorbereitung durchleben wir eine Phase der Verunsicherung, ja, der fundamentalen Kritik am weiteren Fortgang der Europäischen Integration. Sind die Europäer wieder einmal europamüde geworden?

Ich glaube nicht, daß es sich wirklich so verhält. Ich glaube nur, daß es zu wenige gibt, die diese entscheidende Idee unserer Zeit mit der gebotenen Leidenschaft, aber auch mit der dafür nötigen Begabung vernünftig darzustellen imstande sind. Es gibt keine Alternative. Der in Maastricht vorgezeigte Weg bedeutet nicht nur einen großen Fortschritt, sondern auch eine große Anstrengung für uns alle und zugleich einen großen Schritt nach vorn. Ich bin aber zuversichtlich, daß sich auf der Regierungskonferenz letztlich die Einsicht durchsetzen wird, daß ohne eine Weiterentwicklung des Vertrags von Maastricht die Europäische Union den Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts nicht gewachsen wäre. Niemand will einen zentralistischen Superstaat. Es gibt ihn nicht und es wird ihn auch nicht geben. [ . . . ]

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