GHDI logo

Pazifismus in der Bundesrepublik (Januar 2003)

Seite 2 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Wie denkt und fühlt „es“ in der Bundesrepublik beim Thema Krieg und Frieden? Unter den gebrannten Kindern des Wahlkampfs versucht man sich einen Reim zu machen auf die massive Verweigerungsstimmung, die im Sommer und Herbst jede rationale Irak-Diskussion verhindert hat. Hans-Ulrich Klose, in dieser Frage der Schäuble der SPD und in seiner Partei auf ähnlich einsamem Posten, würde es nicht Pazifismus nennen: „Es ist eher so, dass da eine verletzte Nation die Schultern hochzieht; wir ticken da anders als die Amerikaner oder Briten, mehr wie die Japaner.“ Krieg bedeutet in der deutschen kollektiven Erinnerung Schuld und Niederlage. Und er bedeutet Leid für die Zivilbevölkerung – wie sehr, das zeigt in diesen Wochen der sensationelle Erfolg von Jörg Friedrichs Buch über die Bombardierung der deutschen Städte. In der angelsächsischen Welt wird des Zweiten Weltkriegs, trotz aller Zerstörungen in England, letztlich anders gedacht, heroisch, als Sieg der gerechten Sache. Schuld ist dabei auch ein Thema – aber nicht die Schuld des Angriffskriegs, sondern des allzu langen Abwartens und Zusehens, des Appeasements. Das Berliner Geschichtsgespenst ist der Verbrecher Hitler, das Londoner der Versager Chamberlain.

Doch gibt es nicht gleichzeitig, neben der intensiven Gewaltscheu, in der Bundesrepublik eine ganz andere, gegenläufige Tendenz? Vor wenigen Jahren noch waren deutsche Blauhelme ein Ding der Unmöglichkeit, inzwischen hat sich die Bundeswehr an Kampfeinsätzen im Kosovo und in Afghanistan beteiligt, ohne Massenproteste oder auch nur demoskopische Einbrüche für die Regierenden. Für Hardcore-Antimilitaristen wie den Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele sind das in der Tat Sündenfälle und gefährliche Präzedenzien, Beispiele einer Militarisierung der Außenpolitik. Auch in der mehr oder weniger organisierten Friedensbewegung, bei den übrig gebliebenen Aktivisten aus der Nachrüstungszeit oder neuerdings im Umfeld der Globalisierungskritiker von attac, wird jeder Schritt eines deutschen Soldaten irgendwo auf der Welt mit tiefem Misstrauen betrachtet.

Die Geschichte seit 1989 erscheint aus diesem Blickwinkel als Prozess der Abkehr von zivilen Konfliktlösungen. Krieg ist, im Unterschied zu den dann doch irgendwie idyllischen Zeiten des atomaren Patts, wieder möglich, führbar, akzeptabel geworden. So gesehen führt von den Balkan-Interventionen zu einem drohenden Angriff auf den Irak in der Tat eine gerade Linie, ein Weg ins Verderben. Diese Katastrophentheorie ist kein Privileg eines pazifistischen Milieus, sie findet sich auch in der akademischen Friedensforschung. Ernst-Otto Czempiel etwa, der Doyen der Disziplin in Deutschland und ein hoch seriöser Politologe auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen, schätzt die Entwicklung kaum anders ein. Selbstverständlich, erklärt er, war der Einsatz der Nato-Bomber gegen Serbien 1999 ein Fehler, geradezu ein zivilisatorischer Rückschritt. Und selbstverständlich löst der Krieg, ganz wie die Friedensdemonstranten sagen, keine Probleme. Nie. Er ist ein Anachronismus, das Überbleibsel einer längst überholten „Staatenwelt“ der Großmachtambitionen. Die Zukunft, oder eigentlich schon die Gegenwart, gehört der „Gesellschaftswelt“, einer globalen Innenpolitik, in der Wohlstand und Demokratie die Völker kampfunlustig machen. Dass der Westen nach dem Untergang der Sowjetunion nicht wirklich abgerüstet hat, dass er mittlerweile Tyrannensturz und Menschenrechtsschutz mit Waffengewalt betreibt, dass unter Bush jr. in den Vereinigten Staaten sogar wieder ein ausgewachsener Militarismus regiert – das alles sind in Czempiels Augen Facetten eines großen Versäumnisses, den Augenblick von 1989/90 zu ergreifen und die Konfliktbehandlung endlich auf Prävention umzustellen.

So weit die reine Lehre. Sie wird es allerdings nicht gewesen sein, die dem Bundeskanzler bei seiner Wehrdienstverweigerung in Sachen Irak die Wähler zugetrieben hat. Es gibt, sosehr Friedensbewegung und Friedensforschung das bedauern mögen, keinen generellen Widerstand gegen eine „Militarisierung der Außenpolitik“. Was es gibt, ist eine tiefe, schuld- und angstbesetzte Aversion gegen Krieg – aber genau darin dürfte paradoxerweise der Grund dafür liegen, dass die Engagements auf dem Balkan und in der ersten Phase des Antiterrorkampfs so leicht durchzusetzen waren. Sie werden offenbar als Polizeiaktionen mit militärischen Mitteln wahrgenommen, im Grunde ganz im Sinne von Czempiels internationaler Innenpolitik, wenngleich nicht gewaltfrei. Der Wachtmeister braucht ja auch für den Notfall eine Pistole. Krieg, richtiger Krieg, zwischen Staaten und womöglich wegen nackter Interessen, um Energiequellen oder um Macht – das ist etwas anderes.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite