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Der Kosovo-Krieg und die Grünen (13. Mai 1999)

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Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir im ersten halben Jahr nicht nur die Agenda 2000, nicht nur die Frage der Krise der Kommission, sondern auch die Frage Rambouillet und schließlich das Scheitern von Rambouillet und den Krieg dort haben. Nur ich kann euch nochmals sagen, was ich nicht bereit bin zu akzeptieren: Frieden setzt voraus, dass Menschen nicht ermordet, dass Menschen nicht vertrieben, dass Frauen nicht vergewaltigt werden. Das setzt Frieden voraus! Und ich bin der Letzte, der nicht sagen würde, dass ich keine Fehler gemacht habe. Auch gerade in letzter Zeit, wenn darauf hingewiesen wird auf die Lageberichte. Ja, das war ein Fehler, den muss ich akzeptieren. Ich konnte im ersten halben Jahr vor allem unter dem Druck nicht alles machen, aber ich trage dafür die Verantwortung und werde zu Recht deswegen kritisiert. Andere Fehler sind gemacht worden. Nur auf der anderen Seite möchte ich euch sagen, und da möchte ich auch mal der Partei meine persönliche Situation berichten. Der entscheidende Punkt ist doch, dass wir wirklich alles versucht haben, um diese Konfrontation zu verhindern. Und da sage ich euch, ich bin ja nun weiß Gott kein zartes Pflänzchen beim Nehmen und beim Geben, weiß Gott nicht, aber es hat wehgetan, wenn der persönliche Vorwurf erhoben wurde, ich hätte da die Bundesrepublik Deutschland in den Krieg gefingert. Ich kann euch nur eines sagen: Die G8 hat jetzt beschlossen, eine gemeinsame Grundlage, eine Prinzipienerklärung auf der vollen Grundlage von Rambouillet. Und ich kann euch nur versichern, ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand, um diese Konfrontation zu verhindern. Und wenn einer in dieser Frage meint, er könne eine Position einnehmen, die unschuldig wäre, dann müssen wir die Position mal durchdeklinieren. Mir wurde moralischer Overkill vorgeworfen und ich würde da eine Entsorgung der deutschen Geschichte betreiben und ähnliches. Ich will euch sagen: Für mich spielten zwei zentrale Punkte in meiner Biografie eine entscheidende Rolle und ich kann meine Biografie da nicht ausblenden. Ich frage mich, wer das kann in dieser Frage! In Solingen, als es damals zu diesem furchtbaren mörderischen Anschlag auf eine ausländische Familie, auf eine türkische Familie, kam, die rassistischen Übergriffe, der Neonazismus, die Skinheads. Natürlich steckt da auch bei mir immer die Erinnerung an unsere Geschichte und spielt da eine Rolle. Und ich frage mich, wenn wir innenpolitisch dieses Argument immer gemeinsam verwandt haben, warum verwenden wir es dann nicht, wenn Vertreibung, ethnische Kriegsführung in Europa wieder Einzug halten und eine blutige Ernte mittlerweile zu verzeichnen ist. Ist das moralische Hochrüstung, ist das Overkill? Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz; nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen, liebe Freundinnen und Freunde, und deswegen bin ich in die Grüne Partei gegangen. Was ich mich frage ist, warum ihr diese Diskussion verweigert? Warum verweigert ihr mit Trillerpfeifen diese Diskussion, wenn ihr euch als Linke oder gar Linksradikale bezeichnet? Ihr mögt ja alles falsch finden, was diese Bundesregierung gemacht hat und die NATO macht, das mögt ihr alles falsch finden. Aber mich würde mal interessieren, wie denn von einem linken Standpunkt aus das, was in Jugoslawien seit 1992 an ethnischer Kriegsführung, an völkischer Politik betrieben wird, wie dieses von einem linken, von euerm Standpunkt aus denn tatsächlich zu benennen ist. Sind es etwa alte Feindbilder, an die man sich gewöhnt hat, und Herr Milosevic passt in dieses Feindbild so nicht rein? Ich sage euch, mit dem Ende des kalten Krieges ist eine ethnische Kriegsführung, ist eine völkische Politik zurückgekehrt, die Europa nicht akzeptieren darf.

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Quelle: Rede von Joschka Fischer auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen, Heinrich Böll Stiftung. Archiv Grünes Gedächtnis. Hannover 1999; abgedruckt in Eberhard Rathgeb, Die engagierte Nation. Deutsche Debatten 1945-2005. München: Carl Hanser Verlag, 2005, S. 415-16.

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