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Vom Ziegenhirt in den Alpen zum Griechischlehrer – Thomas Platter (1499-1582)

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Uff dem nach genden frieling zoch ich mit zweien briedren wider uß dem land. Als wier der můtter wolten gnaden, do weinet si und sprach: „Das gott miesse erbarmen, das ich do dry sün můß sächen in das ellend gan“ etc. Sunst han ich min můtter nie gsächen weinen, dan sy ein dapfer manlich wib was, aber ruch; dan als iren ouch der dritt man starb, bleib sy ein witwen, datt alle arbeit wie ein man, das sy die letsten kind, by dem man überkummen, dester baß mechte erziechen. Sy howet, trasch und <datt> andre arbeitten, die mer den mannen zů ghorten den den wibren; hat ouch derselben kinder dry selber vergraben, als sy in einer gar grossen pestelentz gestorben waren; dan in der pestelentz mit dem tottengribell vergraben gar vill kostet. Sy was ouch gägend uns ersten kinden gar ruch, darumb wier den iren selten zhuß kamen. Uff ein zytt was ich, wie ich mein, in fünff jaren nit by iren gsin und wyt umbeinander getzogen in ferren landen; kam zů iren; was das erst wort, das sy zů mier sagt: „Hatt dich der tüfel aber zůher getragen?“ Antwurtet ich: „E nein, můtter, der tüfell hatt mich nit zůher tragen, sunder mine füß; ich will üch nit lang überlägen sin.“ Sprach sy: „Du bist mier nit überlägen; alein verdrüßt mich, das du so hin und wider schlumpest, an zwifell nütt lernest; lartest du werchen, wie din vatter sälig ouch than hatt! Du wirst doch kein priester; ich bin nit so sälig, das ich ein priester erzieche.“ Bleib also 2 oder 3 tag by iren. An eim morgent was ein grosser ryff, als man laß, uff trübell gfallen; do halff ich iren läsen und aaß der gefrornen trübell, das mich das krimmen an kam, das ich alle fiere von mier strakt, meint, ich mießte zersprungen sin. Do stůnd sy vor mier und lachet, sprach: „Wilt gären, so zerspring; worumb hastz gessen?“ Andre vill stuken mer mecht ich an zeigen irer rüchin; sunst was sy ein erlich, redlich, from wib; das hatt iederman von iren gesagt und sy gelobet.

Do ich nun mit minen zwei briedren hinweg zoch und wier über den Letschenberg giengen gägend Gastren, satztend sich mine brieder in den stozenden orten uff den schnee und fůren den berg ab. Ich wolt das ouch tůn, und wie ich bein nit glich von einandren datt, warff mich der schnee umb, das ich mit dem kopff <voranhi> uff dem ruggen den berg ab fůr; wer kein wunder gsin, ich wer mit dem kopff an ein boum ztodt gfaren; den do waren kein felsen. Das beschach mier zum dritten mall, das ich mit dem kopff voranhi uff dem ruggen den rein nider schoß und mier der schnee huffechtig uff das antlit fiell; vermeint immerdar, ich wetz alls woll künnen als mine brieder; aber sy hattend der bergen baß gewont den ich.

So fůren wier mit einandren darvon, und bliben sy zwen im Entelbůch, ich aber gieng gan Zürich. Do waß ich zherberg by des wytverriempten, frommen und gelerten herren Růdolphi Gualtheri můtter (der ietz Zürich zů S. Peter pfarherr ist; do lag er in der wiegen, das ich in offt gewaget han) und gieng zum frowen minster in die schůll. Do was ein schůlmeister, der hieß meister Wolffgang Knöwell von Barr by Zug, was magister Parrisiensis, den man zů Paryß genempt hatt Gran Diabell. Er was ein grosser redlich man, hatt aber der schůll nit vill acht, lůgt mer, wo die hüpschen meitlin waren, vor denen er sich kum erweren mocht etc. Ich hette gären gestudiert, dan ich kond verstan, das zyt war.

In der selben zyt seidt man, aes wurde ein schůlmeister von Einsidlen kummen, der weri vorhin zů Lucärn gsin, ein gar gelerter man und trüwer schůlmeister, aber grusam wunderlich. Do macht ich mier ein sitz in eim winkell, nit wyt von des schůlmeister stůll, und gedacht: in dem winkell wilt studierren oder sterben. Als der nun kam und anstůnd, gieng <er> in die schůll zum frowen minster; sprach er: „Das ist ein hüpsche schůll (dan sy was erst kürtzlich nüw gebuwen); aber mich bedunkt, äs sigind ungeschikte knaben. Doch wellen wier lůgen; kerrend nů gůtten flyß an.“ Do weiß ich, hette äs mier min läben golten, ich hätte nit ein nomen 1ae declinationis können declinieren, kond doch den Donatt uff dem nägelin ußwendig; dan do ich zů Schletstat was, hatt Sapidus ein baccalaurium, hieß Georgius ab Andlow, was ein lediger von Andlow, gar ein glerter gsell, der vexiert die bacchanten so iämerlich übell mit dem Donat, das ich gedacht: ist es den so ein gůt bůch, so wiltz uswendig studierren, und in dem, das ichs lart läsen, studiert ich in ouch ußwendig. Das kam mier by dem patre Myconio woll; där, als er anstůnd, laß er uns den Terentium; do mießten wier alle wertlin, ein gantze commoedi, declinierren und coniugierren. Do ist er offt mit mier umbgangen, das min hembdlin naß ist worden, io ouch die gsicht ist vergangen, und <hat mier> doch nie kein streich gen, den einest mit der lätzen hand an baggen. Aer laß ouch in der heiligen geschrifft, das ouch vill leien die selben stunden drin giengen, dan es was im anfang, das das liecht des heiligen evangelii wolt uffgan, und hat man doch noch lang mäß und die götzen in der kilchen. Wen er aber schon ruch mit mier was, fürt er mich den heim und gab mier zů essen, dan er ghort mich gären sagen, wie ich alle land was usgeliffen in Tütschland, und wie es mier allenthalb ergangen was; das wußt ich do zmall woll. [ . . . ]



Quelle: Thomas Platter: Lebensbeschreibung. Herausgegeben von Alfred Hartmann. 3. Auflage, durchgesehen und ergänzt von Ueli Dill, mit einem Nachwort von Holger Jacob-Friesen. Basel: Schwabe Verlag, 2006, S. 23-61. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Schwabe Verlags, Basel.

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