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Ein jüdischer Schriftsteller kritisiert das Holocaust-Mahnmal (19. Dezember 2004)

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Auf dem Gelände empfängt mich Hans Haverkampf, der Geschäftsführer der Stiftung für die Ermordeten Juden. Ein rechtschaffener Betriebswirt. Auf dem Weg zum Stelenfeld erläutert er mir architektonische Feinheiten. Ich erinnere mich an einen früheren Besuch mit einer Sinti-Frau auf der Baustelle. Sie wünschte sich vom Herzen, das Mahnmal wäre allen Opfergruppen gewidmet. Auf meine Frage, weshalb die Stiftung es nicht über sich gebracht habe, auch die anderen Verfolgten der Nazis einzubeziehen, gerät Haverkampf auf intellektuellen Schleuderkurs. Man könne nicht alle Kriegstoten über einen Kamm scheren. Nein. Aber hätten Zigeuner nicht ebenso gelitten wie Juden? Sind sie nicht in Auschwitz ebenso umgebracht worden wie die Juden? Der Geschäftsführer kämpft ebenso vergeblich gegen die Logik eines ungeteilten Humanismus wie zuvor der Historiker Eberhard Jäckel.

Ich begebe mich in den grauen, gewollt schlingernden Betonwald. Befühle den nassen, gegen Schmierereien Degussa-versiegelten Stein. Nicht die Architektur bedrückt mich, vielmehr die zur Hartherzigkeit geronnene Verschlossenheit der Shoah-Zeloten. Männer und Frauen wie Rosh, Jäckel, Eisenman, die das Gedenken an die Opfer zu monopolisieren trachten. Und zu selektieren! War es nicht schlimm genug, daß die Nazis ihre selbsterwählten Opfer von den noch am Leben Gelassenen trennten? Besitzen wir heute das Recht, darüber zu entscheiden, wessen wo gedacht wird? Zählt ein ermordeter Behinderter weniger als die hochgebildete Edith Stein?

Unter dem Stelenfeld wird der Ort des Gedenkens ausgebaut. Ich erhalte erneut lange Erklärungen über „hervorragende“ bautechnische Leistungen und ein modernes Museumskonzept. Neue Schreckensbilder werden vorbereitet. Fehlt es daran wirklich in Berlin, wo neben der Wannseevilla, in der am 20. Januar 1942 die Shoah organisiert wurde, zahlreiche Gedenkstädten die Bewohner und Besucher der Hauptstadt zum Nachdenken bringen?

Das immense zentrale Mahnmal wurde, anders als die lokalen Gedenkplätze, über die Köpfe der Berliner Bevölkerung vom Bundestag beschlossen. Die Abgeordneten wollten im Ausland nicht als Antisemiten gelten. Gedenken, Betroffenheit, Gefühle kann man nicht verordnen. Jetzt gilt es, mit dem Denkmal zu leben. Die Menschen dafür zu gewinnen.



Quelle: Rafael Seligmann, „Versiegelter Stein“, Welt am Sonntag, 19. Dezember 2004.

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