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Ein ostdeutscher Schriftsteller beklagt die DDR-Nostalgie (31. August 2003)

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Die Ostalgie unterscheidet sich nur in einem wesentlichen Punkt von der üblichen Nostalgie: Das Objekt der Verklärung ist in seiner Deutung schwer umkämpft. Die DDR steht unter besonderem Druck; die Verklärung muss sich über ein herrschendes Geschichtsbild vom „Stasi-Terror“, „SED-Staat“, „totalitären Regime“ usw. hinwegsetzen. Dieses Geschichtsbild steht in einer toten Ecke des Erfahrungsraumes vieler Ostler. Die DDR ist in den Köpfen vieler Menschen etwas anderes als das, was ihnen von den Historikern – auch im Fernsehen – präsentiert wird.

Hier setzen die Nostalgie-Shows an: Sie wollen, wie es so schön heißt, die Leute da abholen, wo sie stehen. Natürlich sind sie auch Ausdruck eines schlechten West-Gewissens und einer vermurksten deutschen Einheit: Wenn kaum ein Ostler Chefredakteur oder Intendant ist, wird mit anderen Mitteln Proporz geschaffen. Dabei soll unbedingt vermieden werden, was doch jeder sieht: dass ARD und ZDF das Westfernsehen sind. ARD und ZDF wären viel lieber das, was sie heißen: deutscher Rundfunk, deutsches Fernsehen.

Leipzig hat den Zuschlag für die deutsche Olympiabewerbung bekommen – das war kein Gnadenakt der deutschen Gesellschaft, das war keine bloße Geste. Leipzig war allererste Wahl unter den deutschen Städten. Das beste an der Wahl Leipzigs war, dass es auch eine andere Stadt hätte werden können.

Liebe Fernsehmacher, ihr könnt euch diese Ostalgie-Shows schenken. Klar, ihr wollt was Patriotisches tun, wollt einen Beitrag zur inneren Einheit leisten. Aber wenn die Statistiken eurer Reporter auch DDR-Sportler berücksichtigen würden, wenn Sätze wie Der erfolgreichste deutsche Marathonläufer bei Olympia war natürlich Waldemar Czierpinski mit seinen Siegen 1976 und 1980 ganz selbstverständlich wären, dann hättet ihr mit wenig Aufwand – wenn auch einiger Überwindung – eine Menge für die innere Einheit und die ostdeutsche Seele getan. Eure Reporter dürfen sogar sagen, dass Czierpinski aus Halle kam. Dass er aus der DDR kam, klingt leider noch so, als ob er Lepra hätte, und zu sagen, er käme aus der ehemaligen DDR, ist ein noch schlimmerer Fauxpas: Wer von der ehemaligen DDR spricht, unterstellt ungesagt, dass es auch eine jetzige DDR gibt, und ist somit ein Spalter. Die DDR endete, wie wir alle wissen, 1990 und braucht deshalb ebenso wenig ehemalig genannt zu werden wie ein Schimmel weiß.

Aber es geschehen auch kleine Wunder: Vor ein paar Tagen war der 25. Jahrestag jenes Fluges „des ersten Deutschen im All“ – und das Westfernsehen brachte in den Nachrichten Beiträge darüber, mit Bildern von damals und heute. Ausgewogen und sachlich. Deshalb haben wir doch am liebsten Westen geguckt. Das nehmt mal mit in die Einheit.

Es war eben nicht alles schlecht.



Quelle: Thomas Brussig „Murx, die deutsche Einheit“, Tagesspiegel, 31. August 2003.

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