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Chinesische Touristen genießen den Geschwindigkeitsrausch auf der Autobahn (22. Juli 2004)

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Fünf Männer waren wieder Kinder. Fünf Männer in einer indifferenten Kleidungsmischung aus dunkelblauen Anzugjacketts, schwarzen Buntfaltenhosen und Hawaii-Hemden, ein Stilmix, der vermuten lässt, dass eine Gesellschaft nach Jahren der Uniformierung noch ihr neues Outfit sucht. Zum Unterschreiben der Verträge setzte Guofeng Wang schließlich eine dicke braune Brille auf, eine Art Parteitagsbrille. Ein Relikt des alten China.

Draußen standen die Autos schwarz glänzend in der Sonne, zweimal E-Klasse. Eine blonde Hostess stellte die Klimaanlage auf 22 Grad und das Navigationssystem auf englische Sprache, dann erklärte sie die Gangschaltung, wobei der sechste Gang von besonderem Interesse war. Die Männer machten erste Fotos, und jeder setzte sich einmal auf den Fahrersitz, Qing Li, der in Shanghai einen Mazda 6 besitzt, Pingsheng Ding, der einen alten VW Santana fährt, und Guofeng Wang, der sich vor zwei Jahren sein erstes Auto kaufte, einen GM Sail auf Opel-Corsa-Basis. Dann ließen sich auch Xin Liu und Kan Chen vorsichtig in die Sitze gleiten, die beiden Jüngsten, die noch keine Autos haben. Chen, ein kleiner, schmaler Mann, 32 Jahre alt, fuhr einen der Wagen vorsichtig zwei Meter aus der Parklücke heraus und wieder zurück. Einmal drückte er versehentlich auf die Hupe. Es gab viel nervöses Lachen.

Schließlich erklärte Reiseführer Ding noch einmal die Rechts-vor-links-Regel, man trat die Zigaretten aus, stieg ein. Die Türen machten plopp-plopp, ruckelnd fuhren die Wagen an und reihten sich wenig später auf der Autobahn ein. Auf einer deutschen Autobahn! Dreispurig! Mit den berühmten blau-weißen Schildern! Es war genau wie in der Werbebroschüre, die sie schon im Reisebüro in China erhalten hatten: auf dem Titel der Slogan »Im Autoland Auto fahren, ohne Limit!«, darunter ein Mercedes vor Schloss Neuschwanstein, dann 30 Seiten mit 70 Bildern, von denen kein einziges eine Sehenswürdigkeit zeigt, sondern nur gelbe und blaue Straßenschilder. Auffahrten, Abfahrten, Autobahnkreuze, als ob es kein Deutschland jenseits der Leitplanken gäbe. Auf der letzten Seite noch 39 wichtige Begriffe für den Urlaub; der erste lautet »Polizeikontrolle«. Weitere Hinweise im Prospekt: Das Hotelpersonal in Deutschland ist ungewöhnlich unfreundlich. In Restaurants muss auch der Tee bezahlt werden. Und: nicht schmatzen oder schlürfen.

So präpariert, fuhr der kleine Konvoi unter einem dramatischen Gewitterhimmel in das deutsche Abenteuer, am Horizont duckte sich die Silhouette von Frankfurt am Main, von der der Reedereimanager Qing Li später sagen sollte, sie sei ziemlich mickrig, verglichen mit der Skyline von Shanghai.

Nach drei Kilometern überschritten die Chinesen dann zum ersten Mal die 120, nach vier Kilometern gingen sie mit 140 das erste Mal auf die linke Spur, nach sechs Kilometern wurden sie dort zum ersten Mal von einem BMW verdrängt, und nach neun Kilometern standen sie in ihrem ersten deutschen Stau.

Würzburg. Das Navigationssystem leitet die Gruppe von der Autobahn hinauf zur Festung Marienburg, dort steigen die fünf aus ihren klimatisierten Reisekapseln und laufen hinauf zur Burg, die Hände hinterm Rücken verschränkt. Ein Regenschauer hat die Stadt gewaschen, nun glänzt sie in der Sonne mit ihren Kirchtürmen, Sonnenuhren, Wetterhähnen. Irgendwo schlägt eine Glocke an.

Guofeng Wang schaut auf den Main hinab und auf die Heile-Welt-Kulisse, auf die engen Gassen und die Tauben auf den roten Dächern. Hoch sitzen die Augenbrauen in Wangs Stirn, was seinem Gesicht einen staunenden Ausdruck verleiht. Plötzlich sagt er, das liebe er an Doi Tse Lan: »Blue sky, white clouds, fresh air. Silence.« Blauer Himmel, weiße Wolken, frische Luft. Stille.

In China sind das zurzeit Zeichen von Luxus und Rückständigkeit zugleich. Schon jetzt ist China der zweitgrößte Ölkonsument der Erde, die Küstenstädte gleißen im Neonlicht der Verschwendung. Mittlerweile muss die Regierung den Strom rationieren, weil der Verbrauch schneller wächst, als Kraftwerke gebaut werden können. Frische Luft und Stille gibt es zwar noch auf dem Land, aber nicht mehr in Shanghai, wo 14,5 Millionen Menschen am chinesischen Wirtschaftswunder arbeiten, 29000 Einwohner pro Quadratkilometer. Im Hamburg sind es 2250. Für Guofeng Wang ist Deutschland ein beschauliches, entleertes Land.

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