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Deutsche Urlaubsgewohnheiten (1. April 2004)

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Kleine Touristen-Typologie

Dass Reiseveranstalter dazu nicht gern Auskunft erteilen, liegt auf der Hand; solche Fälle können dunkle Schatten auf die Sonnenseite des Unternehmens werfen. „100 Meter zum Meer“, wie es in Katalogen steht, bedeutet nämlich nicht zwingend „100 Meter zum Strand“ – das Prekäre am Kauf einer Urlaubsreise liegt im Gegensatz zum Kauf einer Stereoanlage darin, dass das Produkt weder vor noch während des Kaufes, vielleicht nicht einmal danach angemessen beurteilt werden kann. Die Beschwerdemanager sagen nur so viel: Geklagt wird in allen Bevölkerungsschichten. Der Berliner Klempnergeselle macht sein vermeintliches Urlaubsrecht genauso geltend wie die Bielefelder Arztgattin, der Hamburger New-Economy-Manager wie der Geschichtslehrer aus Passau.

Diese vier Charaktere sind mit Bedacht gewählt. Verkörpern sie doch in beispielhafter Weise jene vier unterschiedlichen Urlaubertypen, mit denen Reiseveranstalter bei der Erstellung ihrer Angebote rechnen.

Da wäre zunächst der Berliner Klempnergeselle als Pauschalurlauber. Er reist im Sommer nach Mallorca oder im Winter schon mal in den Diani-Beach-Club in Kenia, wobei er auch im Februar auf der Fahrt zum Flughafen Berlin-Schönefeld kurze Hosen und weiße Söckchen trägt. Am Strand erweitert er seinen Horizont, macht Tauchschnupperkurse oder eine Tagessafari in den Tsavo-Nationalpark. Die Massai, die abends beim Büfett einmal trommelnd um die Tische tanzen, sind für ihn noch „echte Neger“, und nach Rückkehr aus dem Urlaub begrüßt er die Kollegen mit: „Jambo, jambo!“

Die Bielefelder Arztgattin würde so etwas nicht tun. Sie ist Kreativurlauberin, bucht zwar pauschal, aber eben doch irgendwie besonders. Als die Kinder noch klein waren, kraxelte die Familie einmal durch die Berge von Nepal. Eine echte Strapaze! Danach ging es nur noch in den Robinson-Club, Kinderbetreuung inklusive. Ist der Nachwuchs aus dem Haus und findet der Mann keine Praxisvertretung, aquarelliert naturtrüb sie in der Provence oder töpfert in der Toskana. Mit dem Alter ist sie empfindlicher geworden, was das Essen angeht, und braun zu sein ist für sie nicht mehr ein Zeichen gelungener Erholung. In ihrem Gepäck hat sie im Zweifelsfall einen John le Carré, und auf dem Rückflug kauft sie im Duty-Free-Shop Bodylotion von Biotherm für ihre Söhne ein.

Der Passauer Geschichtslehrer hat im Hartschalenkoffer neben dem Baedeker auch ein Aufzeichnungsgerät für das Gespräch mit dem Reiseleiter sowie Stift und Block und einen kleinen Zollstock. Er ist der klassische Bildungsurlauber. In Ägypten misst er die Grabkammern aus, und vierzig Grad Celsius bringen ihn nicht davon ab, seinen Wollpullunder anzubehalten. Sieht er im Hotel einen Schuhputzer, läuft er schnell weiter und denkt: Ich bin doch kein Neokolonialist!

Von dem dynamischen Hamburger New-Economy-Manager wird er stets etwas belächelt, denn wer wirklich etwas auf sich hält, ist heutzutage Trendurlauber. Dessen Ziele sind Hotels, egal, in welchem Land sie stehen, Hauptsache, sie sind „designt“, haben eine Lounge und beschallen ihn 24 Stunden lang mit Chillout-Musik. Men’s Health liegt im Samsonite des Trendurlaubers ganz oben – Urlaub heißt für ihn auch, am Waschbrettbauch zu arbeiten. Der Trendurlauber hat sein 3500-Euro-Mountainbike oder sein Surfboard zum Wellenreiten dabei. Er reist schon mal allein, was ihn an Studentenzeiten erinnert, als er noch auf eigene Faust mit Brustbeutel unterwegs war.

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