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Wilhelm von Humboldts Abhandlung „Ueber die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin” (1810)

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Ein so vorbereitetes Gemüth nun ergreift die Wissenschaft von selbst, da gleicher Fleiss und gleiches Talent bei anderer Vorbereitung sich entweder augenblicklich oder vor vollendeter Bildung in praktisches Treiben vergraben und sich dadurch auch für dieses unbrauchbar machen, oder sich, ohne das höhere wissenschaftliche Streben, mit einzelnen Kenntnissen zerstreuen. [ . . . ]

Wenn man die Universität nur dem Unterricht und der Verbreitung der Wissenschaft, die Akademie aber ihrer Erweiterung bestimmt erklärt, so thut man der ersteren offenbar Unrecht. Die Wissenschaften sind gewiss ebenso sehr und in Deutschland mehr durch die Universitätslehrer, als durch die Akademiker erweitert worden, und diese Männer sind gerade durch ihr Lehramt zu diesen Fortschritten in ihren Fächern gekommen. Denn der freie mündliche Vortrag vor Zuhörern, unter denen doch immer eine bedeutende Zahl selbst mitdenkender Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal an diese Art des Studiums gewöhnt ist, sicherlich ebenso sehr an, als die einsame Musse des Schriftstellerlebens oder die lose Verbindung einer akademischen Genossenschaft. Der Gang der Wissenschaft ist offenbar auf einer Universität, wo sie immerfort in einer grossen Menge und zwar kräftiger, rüstiger und jugendlicher Köpfe herumgewälzt wird, rascher und lebendiger. Ueberhaupt lässt sich die Wissenschaft als Wissenschaft nicht wahrhaft vortragen, ohne sie jedesmal wieder selbstthätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich, wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stossen sollte. Das Universitätslehren ist ferner kein so mühevolles Geschäft, dass es als eine Unterbrechung der Musse zum Studium und nicht vielmehr als ein Hülfsmittel zu demselben gelten müsste. Auch giebt es auf jeder grossen Universität immer Männer, die, indem sie wenig oder gar nicht lesen, nur einsam für sich studiren und forschen. Sicherlich könnte man daher die Erweiterung der Wissenschaften den blossen Universitäten, wenn diese nur gehörig angeordnet wären, anvertrauen, und zu diesem Endzweck der Akademien entrathen. [ . . . ]

Die Universität nemlich steht immer in engerer Beziehung auf das praktische Leben und die Bedürfnisse des Staates, da sie sich immer praktischen Geschäften für ihn, der Leitung der Jugend, unterzieht; die Akademie aber hat es rein nur mit der Wissenschaft an sich zu thun. Die Lehrer der Universität stehen unter einander in bloss allgemeiner Verbindung über Punkte der äusseren und inneren Ordnung der Disciplin; allein über ihr eigentliches Geschäft theilen sie sich gegenseitig nur insofern sie eigene Neigung dazu führet, mit; indem sonst jeder seinen eigenen Weg geht. Die Akademie dagegen ist eine Gesellschaft, wahrhaft dazu bestimmt, die Arbeit eines Jeden der Beurtheilung Aller zu unterwerfen.

Auf diese Weise muss die Idee einer Akademie als die höchste und letzte Freistätte der Wissenschaft und die vom Staat am meisten unabhängige Corporation festgehalten werden, und man muss es einmal auf die Gefahr ankommen lassen, ob eine solche Corporation durch zu geringe oder einseitige Thätigkeit beweisen wird, dass das Rechte nicht immer am leichtesten unter den günstigsten äusseren Bedingungen zu Stande kommt oder nicht. Ich sage, man muss es darauf ankommen lassen, weil die Idee in sich schön und wohlthätig ist, und immer ein Augenblick eintreten kann, wo sie auch auf eine würdige Weise ausgefüllt wird.

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