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Einführung des Abiturs in Preußen: Edikt unterzeichnet von König Friedrich Wilhelm III., Staatskanzler Hardenberg und Friedrich von Schuckmann (12. Oktober 1812)

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§ 6. Der Maaßstab zur Ertheilung dieser Zeugnisse ist folgender:

1. Zu der ersten Bezeichnung ist erforderlich:

A. In Hinsicht auf Sprachen,

a) in der lateinischen Sprache den Cicero, Livius, Horaz und Virgil im Ganzen mit Leichtigkeit zu verstehen (wozu die Sicherheit in der Quantität, und bei den Dichtern die Kenntniß des Metri mitgerechnet wird), den Tacitus aber nach gestatteter Ueberlegungs-Zeit richtig zu erklären; den eignen lateinischen Ausdruck ohne grammatische Fehler und grobe Germanismen in seiner Gewalt zu haben, nicht allein schriftlich, sondern auch über angemessene Gegenstände mündlich;

b) im Griechischen muß der Examinandus die attische Prosa, wozu auch der leichtere Dialog des Sophokles und Euripides zu rechnen, nebst dem Homer, auch ohne vorhergegangene Präparation, verstehen; einen nicht kritischschwierigen tragischen Chor aber, im Lexicalischen unterstützt, erklären können. Auch muß er eine kurze Uebersetzung aus dem Deutschen ins Griechische, ohne Verletzung der Grammatik und Accente, abzufassen im Stande seyn;

c) im Französischen muß ein kurzer Aufsatz fehlerlos geschrieben, ein vorgelegter Dichter oder Prosaist mit Geläufigkeit übersetzt und mit richtiger Aussprache gelesen werden können, auch Kenntniß wenigstens einiger der wichtigsten Schriftsteller der Nation vorhanden seyn;

d) im Deutschen muß der schriftliche Ausdruck nicht nur von grammatischen Fehlern, sondern auch von Undeutlichkeit und Verwechselung des Poetischen mit dem Prosaischen frei seyn. Eben so muß ein zusammenhängender mündlicher Vortrag gelingen. Auch wird Bekanntschaft mit den Hauptepochen in der Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur und den vorzüglichsten Schriftstellern der Nation verlangt.

B. In Hinsicht auf Wissenschaften:

a) in der Geschichte und Geographie muß der Examinandus darthun können, daß er eine deutliche und sichere Uebersicht des ganzen Feldes der alten, mittlern und neuern Geschichte sich zu eigen gemacht habe, die wichtigsten Begebenheiten derselben mit chronologischer Genauigkeit kennen und ihren Schauplatz geographisch anzugeben im Stande seyn.

b) in der Mathematik wird erfordert Kenntniß der Rechnungen des gemeinen Lebens nach ihren auf die Proportions-Lehre gegründeten Principien, des Algorithums der Buchstaben, der ersten Lehre von den Potenzen und Wurzeln, der Gleichungen des ersten und zweiten Grades, der Logarithmen, der Elementar-Geometrie (so weit sie in den sechs ersten und dem 11ten und 12ten Buche des Euklides vorgetragen wird), der ebenen Trigonometrie und des Gebrauchs der mathematischen Tafeln;

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