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Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

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Unglaublich ist die Behendigkeit, welche die Knaben bei diesem Spiel entwickelten, das Hin- und Herrennen, das Schreien, die Zänkereien der Parteien, und das Auseinanderstieben der ganzen Schar, wenn eine Fensterscheibe klirrte, oder das Roß, wider Wissen und Willen der Spielenden, mit dem Hut oder gar mit dem Kopfe eines Vorübergehenden in zu nahe Berührung gerathen ist. So leidenschaftlich war die kölner Knabenwelt auf dieses Spiel versessen, daß ich junge Leute, welche in der Ziehung, den Tag vor der letzten französischen Conscription noch Plätsch und Roß auf dem Domhofe spielen sah [ . . . ]

Mit dem Herbste kamen die fliegenden Drachen, die »gepatte Vügel«. Ging ein Drache verloren, hieß es: »He es Parîs!« Dann die Kreisel, kölnisch »Doepp«. Da gab es »Münche«, »Beginge«, »Wipdoepp«. Aus einem Streifen Aalhaut »Oelefell« machte man die Peitschen, mit denen die Kreisel getrieben wurden, und die Kunst bestand darin, die Doepp recht weit zu treiben, wobei, in der Hitze des Spiels, nicht immer auf Fensterscheiben und Laternen geachtet wurde, es oft gar unfreundliche Kopfnüsse absetzte. War in der Nähe der Spielplätze eine Lache von weichem Straßenkothe, und die brauchte man nicht weit zu suchen, wurde mit den Kreiseln aufgeworfen. Es spielten zwei oder drei Knaben, von denen jeder einen Dopp einsetzte, diese wurden auf die flache Hand genommen und in die Höhe geworfen, die waren gewonnen, welche auf dem Kopfe stehen blieben. Daß bei allen Spielen, wo Etwas zu gewinnen, oder zu verlieren, die Spielenden sich mitunter in die Haare geriethen, ist selbstredend.

Mit dem Spielmonat, dem October, holen die Knaben die Peitschen hervor, es war Ochsenmarkt; wer am besten knallen konnte, war der beste Mann.

An den Sommer-Abenden, wenn die Nachbarschaft in aller Genüglichkeit auf der Straße, vor den Hausthüren saßen und sich unterhielten, lagerten die Knaben wohl um einen Erzähler, gewöhnlich reich an Mährchen und Legenden, Ritter- und Räubergeschichten. Welch’ ein Schreck, wenn dann der bekannte Pfiff oder Ruf, ans zu Bett gehen mahnte. Die Mädchen sangen und tanzten ihre Ringelreihen [ . . . ]

Auch der Winter hat seine Kinderfreuden. Flockt der erste Schnee, dann jauchzen die Kinder: »Die Mutter Gottes schütte das Bettlein des Heilandes auf, und die Engel die Betten der Heiligen.« Fällt starker Schnee, werden auf den Plätzen Schneemänner gebildet, je kolossaler, je schöner, deren Augen, Nase und Mund aus Holzkohlen geformt; mit alten Besen oder Knitteln ist die Rechte bewaffnet. Allgemein war das Schneeballen-Werfen, oft in den engen Straßen, da sich auch Erwachsene daran betheiligen, ein so großer Unfug, daß die Nachbarschaften die Fenster-Blenden schließen [ . . . ]




Quelle: Ernst Weyden, Köln am Rhein vor 50 Jahren. Köln, 1862, S. 31, 33-34, 35, 42-45, 53-63, 65-70, 72, 76, 79-81, 84.

Abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700-1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 241-58.

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