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Kindheit in Rostock an der Ostsee, aus Sicht der Aufklärung und der rationalistischen Medizinwissenschaften (1807)

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Gymnastische Uebungen sind unter den Kindern der Vornehmern nicht eingeführt. Die Knaben gehen freylich wohl bisweilen ins Freye, um den Ball zu schlagen: allein theils sind sie sich dabey ganz überlassen und ohne Aufsicht, theils genießen sie dieses Vergnügen nur eine kurze Zeit im Jahre; und die kleinen Mädchen nehmen gar keinen Theil daran. Im Winter laufen die Knaben zwar auf dem Eise herum; aber hier ist es noch weit gefährlicher, sie ohne Aufsicht zu lassen. Soll ich das Tanzen auch zu den gymnastischen Uebungen zählen, so wird diese bey uns sehr kultivirt, aber doch auf eine Art, daß ich sie als Arzt nicht gut heißen kann. Man fängt gewöhnlich schon sehr früh an, den Kindern Unterricht im Tanzen geben zu lassen, und bestimmt dazu häufig den Sommer, damit sie es gegen den Winter schon gelernt haben. Anstatt aber, daß man bey solchen Kindern, die noch Biegsamkeit genug haben, um alles aus ihnen zu machen, denen es hingegen an Festigkeit und Kraft fehlt, die zu den gewöhnlichen Tänzen erfordert wird, vorzüglich darauf sehen sollte, ihnen eine gute Haltung ihres Körpers und einen sichern Gang beyzubringen, freut man sich nur darüber, wenn sie in einigen Monaten alle modische Tänze gelernt haben. Wenn nun vollends während der heißen Sommertage sich mehrere Familien unter einander verbinden, um ihre Kinder gemeinschaftlich tanzen zu lassen: so ist wohl nichts so sehr zu befürchten, als eine schädliche Erhitzung, die noch um so gefährlicher für die Gesundheit dieser Kleinen werden muß, wenn sie gleich nach einem solchen Balle wieder nach Hause gehen, wobey sie sich nur gar zu leicht erkälten, wie ich aus Erfahrung weiß. Und eben so wenig kann ich es anpassend finden, daß man die Kinder nun den nächsten Winter mit auf die Bälle der Erwachsenen nimmt, wo sie zwischen und mit diesen oft in langen Reihen herumspringen und sich wieder zu sehr anstrengen, erhitzen, auch wohl bisweilen heimlich durch einen kühlenden Trunk, oder durch eine freyere Luft zu erquicken suchen. [ . . . ]

Noch muß ich eines Umstandes gedenken, ehe ich die Materie von der physischen Erziehung der Kinder verlasse, der von den hiesigen Einwohnern vorzüglich beherzigt zu werden verdient. Wir sind beynahe von allen Seiten mit Wasser umgeben, und man kann daher im Sommer sehr bald einen Platz zum Baden finden. Da es uns aber an öffentlichen Badehäusern fehlt: so geht ein jeder dahin, wo es ihm am besten gefällt, und wo er sich am sichersten glaubt. Dieß thun denn auch häufig die Knaben, die sich einzeln oder in Gesellschaft an einen solchen Ort begeben. Gegen das Baden selbst wird wohl kein Arzt etwas einzuwenden haben: aber daß die Knaben dieses ohne Aufsicht thun und sich selbst größtentheils überlassen sind, das verdient um so mehr eine strenge Rüge [ . . . ]

So wie übrigens das Baden ein Beförderungsmittel der Reinigkeit ist, und besonders den Knaben aus den untern Ständen in dieser Hinsicht sehr zu Statten kommt: so muß ich noch bemerken, daß man die Kinder der Vornehmen nicht nur mehrentheils sehr gut und reinlich gekleidet sieht, sondern daß man auch seit verschiedenen Jahren noch häufiger, als in den ersten Zeiten meines hiesigen Aufenthalts selbst die kleinsten Kinder badet, und damit so lange fortfährt, als es sich nur thun läßt. Seitdem unser gnädigster Landesherr die Badeanstalt zu Doberan gestiftet hat, und man jährlich viele Fremde dahin reisen sieht, um durch das Bad ihre Gesundheit wieder herzustellen, scheint man auch das Baden der Kinder noch eifriger zu beschaffen.

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