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Kindheit in Rostock an der Ostsee, aus Sicht der Aufklärung und der rationalistischen Medizinwissenschaften (1807)

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Der größte Theil von den in einer gesetzmäßigen Ehe erzeugten Kindern genießt dagegen nicht nur in der Regel eine sehr gute Gesundheit – denn einzelne Ausnahmen kommen hier wie überall vor – sondern zeichnet sich auch durch eine diesem Alter eigenthümliche Schönheit aus [ . . . ]

Ich komme jetzt auf eine eben so wichtige, als weitschichtige Untersuchung, die aber auch zugleich die beste Auskunft geben kann, in wiefern man bey uns der Natur huldigt, oder sich ihr zu entziehen, und den von ihr vorgeschriebenen Weg zu verlassen sucht [ . . . ] ich [will] zuerst von der physischen Erziehung reden, so wie ich als Arzt Gelegenheit gehabt habe, sie kennen zu lernen.

Luft und Nahrung sind ohnstreitig die ersten Bedürfnisse des neugebornen Menschen [ . . . ]

Die größte Anzahl der hiesigen Mütter folgt dem so wohlthätigen als belohnenden Naturtriebe, ihre eigene Brust dem neugebornen Säuglinge zu reichen. Selbst die Frauen aus den höhern Ständen machen hiervon kaum eine Ausnahme. Mit unpartheyischer Wahrheitsliebe bekenne ich es hier öffentlich, daß ich mehr als eine zärtliche Mutter fand, die sich kaum beruhigen konnte, wenn sie durch dringende Umstände an der Nichterfüllung dieser heiligen Mutterpflicht gehindert wurde, und mit schwerem Herzen und nassen Augen sich kaum zu einer Amme oder zum Auffüttern ihres Kindes entschließen wollte. Glücklicherweise tritt dieser Fall im Ganzen nur selten ein: denn die Natur gab den hiesigen Schönen mit freygebiger Hand, was sie eines nicht weniger sinnlich angenehmen, als sittlich erhabenen Geschäfftes fähig machen konnte, eine reiche Quelle der Gesundheit und der kindlichen Liebe für den schon durch sein dankbares Lächeln jede Beschwerde tausendfach belohnenden Säugling [ . . . ]

Das Auffüttern der Kinder ohne Brust ist hier noch lange nicht allgemein eingeführt. Ich weiß es wohl, daß manche Aerzte diese Methode der Anwendung einer Amme vorziehen; allein mich dünkt denn doch, daß eine gute Amme den Vorzug verdient [ . . . ]

Diejenigen, welche ihre Kinder selbst stillen, oder ihnen Ammen halten, entwöhnen sie mehrentheils nach Verlauf eines Jahres, oder wenn sie dieses Ziel beynahe erreicht haben. In der Regel werden sie aber schon dazu vorbereitet, indem man ihnen noch während des Stillens allerley anpassende oder unschickliche Speisen nebenher giebt. Nach dieser Periode ist man aber vollends weniger besorgt, bey der Auswahl der Speisen auf das Alter der Kinder Rücksicht zu nehmen. Sie müssen dann gewöhnlich alles essen, was der Tisch giebt, wohin insbesondere [ . . . ] die Kartoffeln gehören, die überdem, so wie das hier sehr allgemein eingeführte Butterbrod, für die Kinder mehrentheils eine Lieblingsspeise abgeben. Daß sie sich recht satt essen, versteht sich, und der Arzt muß bey vorfallenden Krankheiten der Kinder hierauf immer besonders Rücksicht nehmen. Auf eine ähnliche Art hält man es mit den Getränken. Bald trinken sie Wasser, bald Bier, aber nicht selten gewöhnt man sie schon frühzeitig an den Kaffe und Wein, und von dem letztern giebt man ihnen bisweilen so reichlich, daß er ihnen den Kopf einnimmt. Ich habe dieß schon bey Kindern von einigen Jahren beobachtet, aber häufiger noch bey Knaben von 8, 10 oder 12 Jahren.

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