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Romantik: Friedrich Karl Wilhelm von Schlegel: Auszüge ausgewählter Schriften (1798-1804)

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III. Aus Aufforderung an die Maler der jetzigen Zeit (1804)

Aufforderung an die Maler der jetzigen Zeit. Aus den Gemäldebeschreibungen aus Paris und den Niederlanden, in den Jahren 1802-1804

Ist es wahrscheinlich, daß auch jetzt in unsrer gegenwärtigen Zeit noch von neuem eine wahre, große und gründliche Malerschule wieder entstehen und sich dauerhaft bleibend und fest begründen wird? – Wahrscheinlich ist es den äußern Umständen nach eigentlich nicht; aber wer möchte die Unmöglichkeit behaupten? Woran es liegt, daß es keine solchen Maler gibt zu unsrer Zeit, welche den großen Meistern der Vorzeit völlig gleichgestellt werden könnten, und was denen, die sich gegenwärtig in der Kunst versuchen, dazu fehlt, das ist zum Teil wohl klar; zunächst ist es die Vernachlässigung des eigentümlich Technischen, besonders der Farbenbehandlung, am meisten aber das innige und tiefe Gefühl. Bei den sinnigsten und eigentümlichsten Talenten der jetzigen neuen Zeit vermißt man noch am meisten die produktive Tätigkeit, die feste Sicherheit und Leichtigkeit im Praktischen der Ausführung, welche die alten Künstler so wunderbar auszeichnet. Wenn man die Menge von großen Werken erwägt, welche Raphael, der im frühesten Mannesalter dahingerafft wurde, vollendet hat; oder den eisernen Fleiß des redlichen Dürer in der Fülle so unzähliger Erfindungen und Arbeiten aller Art und in dem verschiedenartigsten Stoff, wo er doch auch kein hohes Lebensziel erreichte; so entschwinden uns in Gedanken alle Vergleichungspunkte für unsre in der Kunst so weit neben jenem großen Maßstabe zurückstehende Zeit. Indessen ist diese Erscheinung aus den Umständen wohl erklärbar. Die universelle Bildung und intellektuelle Vielseitigkeit, als charakteristische Eigenschaft und allgemeiner Hang unsers Zeitalters, führt leicht zur Zersplitterung der geistigen Kraft und verträgt sich schwer mit einer konzentrierten Wirkung in fortschreitender Steigerung und mit einer Fülle vollendeter Hervorbringungen in einer bestimmten, positiven Art. Dies trifft eigentlich mehr oder minder alle Gattungen intellektueller Bildung und Hervorbringung in unsrer Zeit; für die Kunst aber ist insbesondre noch folgendes zu beachten und von dem entschiedensten Einfluß. Nachdem einmal der reine, klare Sinn und das tiefe Gefühl die einzige, echte Quelle der höheren Kunst ist, und alles beinah in unsrer Zeit diesem Gefühl feindlich entgegentritt, um es zurückzudrängen, zu versplittern, zu überschütten oder seitwärts in die Irre zu lenken, so geht die beste Hälfte des Lebens, in dem vorläufigen Entwicklungskampfe gegen die Zeit und alle ihre namenlosen Hindernisse verloren; welcher Kampf dennoch unumgänglich notwendig ist, um nur erst die Quelle des echten Kunstgefühls wieder freizumachen und herauszuarbeiten aus dem beschwerlichen Schutt der störenden Außenwelt. Eine sinnige Natur, welche nicht von ihrer Zeit getragen und erhoben wird, sondern dauernd in Zwiespalt steht mit der vorherrschenden Umgebung, wird immer mehr in sich selbst versenkt bleiben und kann schwer zur produktiven Leichtigkeit gelangen. Dieser Grund ist klar und zureichend genug, um das langsame Wachstum der echten Kunst in unsrer Zeit begreiflich zu machen, die aber dennoch zum mächtigen Baum des neuen Lebens im Gebiete des Schönen für eine lichtere Zukunft, mitten durch alle Hindernisse strebend, emporblühen soll. Von einer andern Seite aber betrachtet, erscheint es wohl als ein nicht zu ergründendes Geheimnis, warum einige Zeiten, dem Anschein nach ohne alles äußere Zutun und ganz wie von selbst, künstlerisch so reich und glücklich sind, während andere bei dem besten Streben und dem vollen Ernst aller intellektuellen Bildung durchaus kein gleiches und ganz genügendes Gelingen finden mögen. Es liegt vielleicht etwas in dieser Frage, was immer unauflöslich sein wird; wir können nur bei dem stehenbleiben, was sich klar erkennen läßt, und dieses ist auch vollkommen genügend, um die Elemente, die Hilfsmittel und Werkzeuge für die höhere malerische Darstellung, den Weg und die Quelle anzugeben, welche wenigstens zur gründlichen Erkenntnis und treuen Aufbewahrung des echten Schönen in der christlichen Kunst führen werden, wenngleich das höchste Gelingen nicht ohne die besondre Gunst der Natur erreicht werden kann.

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