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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Kritik der Verfassung Deutschlands”, unveröffentlichtes Manuskript (1800-1802)

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[Hegel führt diesen Gedanken im Folgenden weiter aus und betont, dass im Hinblick auf den Nutzen, eine lokale Autonomie einen finanziellen Nachteil für die Zentralmacht erzeugen würde, weil sie sie ihrer Einkünfte berauben und in die Kohärenz eingreifen würde, während andererseits die Gemeinde einen Zuwachs an Zufriedenheit und Vitalität erfahren würde. Er widerlegt die ersten beiden Argumente mit dem Kommentar, dass die Zentralmacht sowohl Ausgaben als auch Einnahmen hätte, und das zweite mit der Meinung, dass Reglementierung nicht nur die Initiative begräbt, sonder auch die Moral untergräbt. Danach resümiert er:]

Der Unterschied ist unendlich, ob die Staatsgewalt sich so einrichtet, daß alles, worauf sie zählen kann, in ihren Händen ist, und daß sie aber eben deßwegen auch auf nichts weiter zählen kann, oder ob sie ausser dem, was in ihren Händen ist, auch [auf] die freye Anhänglichkeit, das Selbstgefühl, und das eigne Bestreben des Volks zählen kann, einen allmächtigen unüberwindlichen Geist, den jene Hierarchie verjagt hat, und der allein da sein Leben hat, wo die oberste Staatsgewalt so viel als möglich der eignen Besorgung der Bürger läßt. Wie in einem solchen modernen Staat, worin alles von oben herunter geregelt ist, nichts, was eine allgemeine Seite hat, der Verwaltung und Ausführung der Theile des Volks, die dabey interessirt sind, anheimgestellt ist, – wie sich die französische Republik gemacht hat, [sich] ein ledernes, geistloses Leben erzeugen wird, ist, wenn dieser Ton der Pedanterey des Herrschens bleiben kann, in der Zukunft erst zu erfahren, aber welches Leben und welche Dürre in einem andern ebenso geregelten Staate herrscht, im preussischen, das fällt jedem auf, der das erste Dorf desselben betritt, oder seinen völligen Mangel an wissenschafftlichem und künstlerischem Genie sieht oder seine Stärke nicht nach der ephemerischen Energie betrachtet, zu der ein einzelnes Genie ihn für eine Zeit hinaufzuzwingen gewußt hat.

Wir unterscheiden also nicht nur in einem Staate das nothwendige, was in der Hand der Staatsgewalt liegen und unmittelbar durch sie bestimmt werden muß, und das zwar in der gesellschafftlichen Verbindung eines Volks schlechthin nothwendige, aber für die Staatsgewalt als solche zufällige, sondern halten das Volk auch sowohl für glücklich, dem der Staat in dem untergeordnetern allgemeinen Thun viel freye Hand läßt, als auch eine Staatsgewalt für unendlich stark, die durch den freyern und unpedantisirten Geist ihres Volks unterstützt werden kann. [ . . . ]

Es ist aber sichtbar, daß durch den zehenjährigen Kampf [als Folge der Französischen Revolution], und das Elend eines grossen Theils von Europa, soviel wenigstens an Begriffen gelernt worden ist, um gegen ein blindes Geschrey der Freyheit unzugänglicher zu werden. In diesem blutigen Spiel ist die Wolke der Freyheit zerflossen, [ . . . ]; das Freyheitsgeschrey wird keine Wirkung thun; die Anarchie hat sich von der Freyheit geschieden, und daß eine feste Regierung nothwendig zur Freyheit hat sich tief eingegraben; ebenso tief aber, daß zu Gesetzen, und zu den wichtigsten Angelegenheiten eines Staats das Volk mitwirken muß, die Garantie daß die Regierung nach den Gesetzen verfährt, und die Mitwirkung des allgemeinen Willens zu den wichtigsten das Allgemeine betreffenden Angelegenheiten hat das Volk in der Organisation von einem es representirenden Körper, [ . . . ].

Ohne einen solchen representirenden Körper ist keine Freyheit mehr denkbar, alle andern Unbestimmtheiten, alle Leerheit des FreiheitsGeschreys ist durch diese Bestimmung verschwunden; [ . . . ] sondern diese Bestimmung ist Grundsatz der öffentlichen Meinung, er ist ein Theil des gesunden Menschenverstandes geworden. Die meisten deutschen Staaten haben eine solche Representation, [ . . . ].

Das Interesse dieser deutschen Freyheit sucht natürlicher bei einem Staate Schutz, der selbst auf diesem System der Freyheit beruht. [ . . . ] Kein Krieg Preussens kan mehr der öffentlichen Meinung für einen deutschen Freyheitskrieg gelten; das wahre Bleibende, in dieser Zeit aufs höchste geschärffte Interesse kan keinen Schutz bei ihm finden.

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