GHDI logo

Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

Seite 12 von 12    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


13. Wie man die Entstehung von Charaktermenschen (Charakteren) verhindert

1. Man stelle an die Spitze jedes Zweiges des Gemeinwesens einen Mann, der, wenn auch nicht über die Einrichtung, doch über die im Bereich desselben vorkommenden streitigen Fälle ohne Mitwirkung der Gerichte die letzte Entscheidung hat und dem Gemeinwesen nicht verantwortlich ist.
2. Man überlasse ihm namentlich die Entscheidung über alle in dem Bereich seines Wirkens anzustellenden Beamten, bis zu den Vorstehern der einzelnen Gemeinden hinab, gestatte denselben keinerlei Art von Mitwirkung bei der Wahl derselben und unterstelle die Beamten einem speziellen Disziplinarverfahren auf Verfügung des betreffenden Ministers.
3. Man überwache das Verhalten der Bürger durch ein Korps von Polizeibeamten, an deren Spitze in bürokratischer An- und Überordnung ein unverantwortlicher Polizeiminister steht.
4. Man verweigere die Errichtung einer Nationalmiliz und verteile anstatt derselben ein stehendes Heer über das ganze Land.
5. Man mache die Anstellung und Beförderung der Mitglieder des (konfessionellen) Klerus von der weltlichen Gewalt abhängig, betraue ihn mit der Aufsicht über die vorgeschriebene Volksbildung und unterstütze ihn in dem Streben nach der Gewalt über die Gewissen.
6. Man lege die Befugnis der Ernennung aller Lehrer, von der Universität ab bis zu den Dorfschulen, in die Hand eines Ministers und erhalte die Volkslehrer in geistiger wie ökonomischer Hinsicht in dürftiger Lage.
7. Man statte den Minister mit der Macht aus, die Art der öffentlichen Erziehung und des Unterrichts endgültig vorzuschreiben.
8. Man hänge das Damoklesschwert der Konzessionsentziehung über alle Organe der Presse und deren Vermittler sowie über alle Betreiber öffentlicher Geschäfte.
9. Man hindere die Bildung freier Vereine, lasse sie jedenfalls durch die persönliche Anwesenheit von Polizeibeamten überwachen, statte diese mit der Gewalt aus, jeden Verein augenblicklich aufzulösen, mache überhaupt alle freie Bewegung der Menschen in jedem einzelnen Falle von polizeilicher Erlaubnis abhängig.
10. Man gestatte keinem Verein die Diskussion über politische und allgemein-soziale Angelegenheiten, und unterdrücke jeden Gedanken an die Selbstregierung der Gemeinden.
11. Man mache die Zuerkennung aller bürgerlichen Rechte abhängig von der Zugehörigkeit zu einer von der weltlichen Macht konzessionierten Kirchengemeinschaft.
12. Man mache jede Art von Begünstigung der Bestrebungen eines Mannes weniger von seiner allgemein-menschlichen und beruflichen Tüchtigkeit, als von seiner Teilnahme an der Beförderung der augenblicklich eingeschlagenen politischen Richtung abhängig.

Unter der Zusammenwirkung dieser und der ihnen analogen Momente wird man den Zweck, die Bildung von festen Charaktermenschen zu verhindern, vollkommen erreichen, oder, wenn man diesen Zweck nicht direkt anstrebt, doch das Resultat herbeiführen, daß Männer dieser Art als seltene Ausnahmen erscheinen. Die Geschichte der Vergangenheit liefert zu dieser Wahrheit die Belege.


Quelle: Pädagogisches Jahrbuch (1859)

Abgedruckt in Friedrich Diesterweg, Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer und andere didaktische Schriften, Hg. Franz Hofmann. Ost-Berlin: Volk und Wissen Volkseigener Verlag, 1962, S. 314-23.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite