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Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

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3. Schul-Regeln für die Erhaltung, Wiederherstellung und Befestigung des Aberglaubens

1. Lehre überall gemäß dem Grundsatze, daß der Inhalt sowohl des Alten wie des Neuen Testaments wörtlich und buchstäblich angenommen werden müsse und daß jede Abweichung von der buchstäblich aufgefaßten Lehre den Zorn der Gottheit errege!
2. Behandle die Wundergeschichten beider Testamente bis hin zur Hexe von Endor, zu Jonas im Walfischbauche und dem Esel des Bileam mit besonderer Ausführlichkeit und mit dem gläubigsten Sinne!
3. Unterhalte die Schüler mündlich und durch Lektüre mit Erzählungen aus dem Geisterreich, mit Gespenster- und Ahnungsgeschichten aller Art bis hin zu den neuesten Enthüllungen dieses Reiches durch Tischklopferei und Geistesmagnetismus und Spiritualismus!
4. Durchdringe sie mit dem Glauben an den Teufel und sein Reich und an die List der in der Luft schwebenden bösen Dämonen! (Nach Wangemann in Pommern.)
5. Halte alle naturwissenschaftlichen Kenntnisse fern von den Schülern, oder kleide sie ein in fromme Betrachtungen, und erbaue die Kinder an solchen Lesestücken, welche die Naturdinge in „frommen Schmuse" vorführen!
6. Dieses ist aber nicht genug, sondern Du mußt auch die als richtige Lehre, nach welcher die Erde der Mittelpunkt des Weltalls und die Sterne keine Weltkörper, sondern Lichter des Himmels sind, und alles das, was damit zusammenhängt, wiederherstellen. Naturgesetze existieren gar nicht. Das sogenannte Wissen muß nach dem Glauben korrigiert werden. (Die Prätensionen der exakten Naturwissenschaft usw., von Dr. Frantz, Oberpfarrer, Superintendent in Sangerhausen; Nordhausen 1857.)
7. Zeige ihnen, daß die Furcht vor Kometen und Irrwischen und die Lehren der alten Astrologen nicht ganz „ohne" waren!
8. Teile den Schülern Geschichten mit, die „tatsächlich" beweisen, daß das Gebet der Gläubigen imstande sei, schädliche Nässe oder Trockenheit wegzubeten und andere Wirkungen „außer der Ordnung der Natur", d. h. Wunder, zu veranlassen.
9. Hüte Dich, in den Wahn zu verfallen, die sogenannte Aufklärung – dieses Gift des aufklärerischen 18. Jahrhunderts – sei eine Aufgabe Deines Amtes! Du hast es nicht mit dem „Aufkläricht", sondern mit dem frommen Glauben, nur mit der Aufgabe zu tun, der Kirche und dem Staate gläubig-gehorsame Untertanen zu erziehen!
10. Verfalle auch nicht in den Irrtum, als sei es der Zweck der Volksschule, den Verstand der Jugend zu bilden. Das war eine List der Umkehrer und Umstürzer des vorigen Jahrhunderts. Fromme Gemütsrichtung reicht für den Bauer und gemeinen Bürger aus. Der Mensch begreift überhaupt so vieles nicht; darum ist es nicht seine Aufgabe, die Natur ihrer Geheimnisse zu entkleiden, die überhaupt im Himmel und auf Erden so vieles enthält, wovon sich selbst unsere Philosophen nichts träumen lassen.
11. Übe Deinen Schülern bestimmte Fertigkeiten nach Regeln ein, ohne deren Gründe, die Du selbst nicht zu wissen brauchst, mitzuteilen. Das Denken nach Gründen erzeugt den Vorwitz, ist überhaupt eins der traurigen Symptome der Überspanntheit der neuernden Schullehrer. Unter der Zeit der alten Lehrer erwuchs ein gläubiges Geschlecht. Zu ihrer Weise und zu ihrem bescheidenen, aber ausreichenden Maß von Bildung muß zurückgegangen werden. (Wolfgang Menzel, Geschichte der letzten 40 Jahre. Nathusius, Volksblatt für Stadt und Land. Auch Riehl, Naturgeschichte des Volkes. Band II: Die bürgerliche Gesellschaft, der Schullehrer als Geistesproletarier.) 12. Willst Du Dir aber ganz besondere Verdienste um die Erreichung und Lösung der in Rede stehenden Aufgabe erwerben, so flöße den Schülern eine besondere Vorliebe zu allem Übernatürlichen, Unnatürlichen und Unbegreiflichen ein, indem Du überall nach dem in Düsseltal neu aufgewärmten, dann von dem (durch die Regierung in Potsdam fast privilegierten) Brandenburger Schulblatte seinen Lehrern warm empfohlenen Grundsatze: credo, quia absurdum est, handelst! –

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