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Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg, „Allergnädigst anbefohlenes Gutachten über die Verbesserung des Systematis in internis” für Maria Theresia (14. April 1773)

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Ad 3tium. Daß Provinzien und ganze Monarchien in Macht und innerlichen Stärke steigen und fallen, setzet die Erfahrung ausser Zweifel. Es geschiehet aber in der Welt nichts ohne zureichende Ursache, und daß es nur allzu gewiß ist, daß die deutsche Erblande in ihrem Wohlstand nicht zu-, sondern abnehmen, so ist alles daran gelegen, über den Anblick dieses Übels nicht zu viel zu erschröken, noch die Augen zu-, sondern aufzumachen, dem Übel ohne alles Vorurtheil auf den Grund zu sehen, und dessen eigentliche Ursachen zu erforschen.

Diese rühren theils von äusserlichen Zufällen her, oder sie haben ihren Grund in den menschlichen Anordnungen und Willkühr. Von den erstern ist vor dermalen nur in Ansehung Böhmens und seiner Hungersnoth [1771] die Frage; die lezteren sind sehr häufig; und gleichwie die leibliche Krankheiten aus verschiedenen Veranlassungen entspringen, die nach und nach die innerliche Kräfte verderben, eine Entkräftung und endlichen ein unheilbares Übel verursachen, so äusseret sich die nämliche Würkung bey den politischen Krankheiten. [ . . . ]

Es entspringen nämlich die Staatsgebrechen

A) aus der dem Volk aufliegenden unproportionirten und allzu schweren Last der Abgaben, oder

B) aus den moralischen Fehlern der Verwaltung, oder aber

C) aus der mangelhaften Regierungsform. [ . . . ]

B. Die zweyte Haupt Ursache der Staats Gebrechen bestehe in den moralischen Fehlern der Verwaltung.

Ad B. Was nun die zweyte Grund-Ursache der Staats Gebrechen, nämlichen die moralische Fehler unserer Verfassung anbetrift, so setze ich in den ersten Rang

a) die bey den meisten Hof- und Länder Stellen und überhaupt bey den Räthen und Dienern Euer Majestät annoch wahrzunehmende doppelte Unwissenheit sowohl der theoretischen Känntnißen und Wissenschaften als des Facti oder der eigentlichen Verhältniß der Umstände, worinnen sich die Kräften und das innerste jeden Erblandes befinden.

Ein Jurist, Theologus, Medicus, Philosophus p.p. muß verschiedene Jahre zu Erlernung der Theorie verwenden und sich zur künftigen practischen Beschäftigung vorbereiten; allein in Ansehung desjenigen, wovon die Wohlfarth des ganzen Staats abhanget, nämlichen in Ansehung der Finanzen, Polizey, Commerzien und anderen politischen Beschäftigungen ist noch vor wenig Jahren der theoretische Unterricht und Nachziehung tüchtiger Subjecten gänzlich ausser Augen gesezt worden. [ . . . ] So fehlten uns auch die einzige Mittel, die fremde Einsichten, Erfindungen, Vortheile und Erfahrungen uns eigen und recht zu Nutzen zu machen. Wie dann noch würklich verschiedene Räthe zu finden seyn dörften, welche nicht ein einziges in ihr Handwerk einschlagendes Buch und theoretische Anweisung gelesen haben. [ . . . ]

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