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Kaiser Joseph II. zur Struktur und politischen Lage der österreichischen Monarchie und des Heiligen Römischen Reiches (1767/68)

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Was auch immer das Schicksal der Justiz im Reiche sein mag: ich müßte mir nicht vorwerfen, von meiner Seite nicht getan zu haben, was ich tun konnte, um die Risse auszubessern, die schon vor mir entstanden waren und an deren Erhaltung die Mächtigen allzu viel Interesse haben in der Erkenntnis, daß Urteile ohne Vollstreckung immer nur schöne Worte sind, die ohne Früchte bleiben, wenn sie nicht wollen.

Ich denke ebenso, was die Investituren anbetrifft. Da ich übrigens ein Feind aller Kleinlichkeiten eines unnötigen Zeremoniells und eines asiatischen Prunkes bin, der nicht mehr in unser Jahrhundert und zu den Verhältnissen, in denen wir uns befinden, paßt, habe ich schon den Kurfürsten erklären lassen, daß ich mich keineswegs dabei aufhalten werde und daß, vorausgesetzt, daß sie den Vasalleneid anerkennen und tatsächlich leisten, es mir völlig gleichgültig ist, ob ich ihre Bevollmächtigten aufrecht oder auf den Knien vor mir sehe und ob ich sie den Schwertknauf küssen lasse oder nicht. Ich habe ihnen damit den einzigen Vorwand genommen, mit dem sie sich während der beiden vorhergehenden Regierungen entschuldigt hatten, die Investitur nicht empfangen zu können. Man wird bald sehen, ob dies der einzig wahre Grund war, der sie daran hinderte. Der König von England in seiner Eigenschaft als Kurfürst von Hannover ist bis heute derjenige von allen, der sich darüber in äußerst angemessener Weise ausgesprochen und der als unabdingbare Notwendigkeit die Erhaltung dieses einzigen und wesentlichen Bandes zwischen dem Oberhaupte und den Gliedern eines Corpus anerkannt hat, das ohne dieses keinen Zusammenhang hätte. Wenn es gelingt, sich über die Notwendigkeit und die äußere Form der Investitur mit den Kurfürsten zu verständigen, wird es desto leichter sein, die Fürsten der alten Häuser wieder dahin zu bringen, die auch heutzutage große Ansprüche stellen und sich nach dem Beispiel der Kurfürsten herausfordernd benehmen, welchen Unterschied es dabei noch zwischen den einen und den andern geben mag. Gleichwohl hat noch niemand von mir die Investitur genommen, obschon mehrere von ihnen eines Tages ein starkes Bedürfnis nach Schutz durch das unmittelbare Oberhaupt haben könnten, wenn die Zeiten sich änderten.

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