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Kaiser Joseph II. zur Struktur und politischen Lage der österreichischen Monarchie und des Heiligen Römischen Reiches (1767/68)

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Außer den Fehlern der Organisation, die ich eben hervorgehoben habe, gibt es unglücklicherweise noch die schlechte innere Verfassung: die Schwäche der Regierung und des Ministeriums der Mehrzahl der Kurfürsten und der katholischen Fürsten. Ihre Eitelkeit, ihre Schlaffheit, ihre Liederlichkeit erschöpfen ihre Kassen; sie ruinieren ihre Untertanen, und indem sie sie nur mit Kleinigkeiten beschäftigen, hindern sie diese selbst, an das gemeine Beste zu denken und so zu handeln. Um ihre Ausgaben bestreiten zu können, sehen sie sich oft genötigt, ihre eigene Verteidigung und Erhaltung zu vergessen und sich in die Arme irgendeiner Macht zu werfen, die ihnen Hilfe verspricht. Das sogenannte Corpus der Protestanten, mehr als Partei geordnet, mehr gebunden und, was sein Inneres betrifft, aktiver, wachsamer und mehr auf seine eigenen kleinen Interessen bedacht, ist in dieser Beziehung nicht einsichtiger und vielleicht noch blinder als die Katholiken, was ihre wahren Interessen anbetrifft; ich meine, bezüglich dessen, was die Erhaltung seiner Freiheit und seines Standes anbetrifft. Verblendet hat es sich ein System zu eigen gemacht, das im Prinzip falsch und für es selber sehr gefährlich ist, nämlich, ein eigenes Corpus, das gänzlich von den Katholiken abgesondert ist, sowohl beim Reichstag zu Regensburg wie auch in allen Kreisversammlungen zu bilden. Selbst die in Wetzlar zur Visitation des Kammergerichtes versammelten protestantischen Deputierten entscheiden mittels einer Vorberatung oder, besser gesagt, einer Voreingenommenheit über alle Materien, seien sie auch noch so geringfügig, in ihren getrennten und geheimen Verhandlungen und bringen sie sodann schon völlig vorbereitet in die Generalverhandlungen, wo die unter sich gespaltenen und niemals gut vorbereiteten Katholiken nicht imstande sind, ihnen Widerpart zu leisten. Mehrere Katholiken lassen sich einschüchtern, da sie sich ohne solide und gesicherte Unterstützung fühlen, und einige von ihnen verkennen in einer solchen Weise, was sie ihrem Bekenntnis und ihrer Ehre schuldig sind, daß sie sich selbst in die Partei der Protestanten einordnen und diese infolge der Stimmenmehrheit gewinnen lassen.

Trotz der entschiedenen Überlegenheit dieses vereinten Corpus sind dessen einzelne Mitglieder weder glücklicher noch freier, weil sie die Unklugheit begangen haben, als Grundsatz zuzulassen, daß jede in den Verhandlungen der Protestanten vorgeschlagene Materie, sollte sie auch rein politisch sein und keine Beziehung zur Religionsfreiheit haben, dort mit Stimmenmehrheit entschieden werden soll, und daß nach einer solchen Entscheidung jedes Mitglied ihres Corpus, bei Strafe, als Schismatiker oder Apostat behandelt zu werden, gehalten ist, ihr einfach und vorbehaltlos zuzustimmen, wie sehr auch die Entscheidung seiner Neigung oder selbst seinen wesentlichsten Interessen entgegenstehen könnte. Dadurch haben sie sich die Ketten geschmiedet, und die Einzelnen haben sich zu Sklaven aller Einfälle oder Interessen des Königs von Preußen und des Ministeriums von Hannover gemacht. Der König von Preußen ist durch die große Zahl der Stimmen, über die er in dem Corpus verfügt, und durch die seiner Kreaturen sicher, in den Verhandlungen der Protestanten immer die Mehrheit zu haben. Infolgedessen fühlt er sich in vollem Umfange als Herr aller Beratungen, mit der Maßgabe, daß diese Protestanten, um nicht dem Kaiser, ihrem rechtmäßigen Oberhaupt, gehorchen zu müssen, der noch durch die Wahlkapitulationen gebunden ist, sich zwei Herren gegeben haben, die viel gebieterischer und despotischer sind, als der mächtigste und absoluteste Kaiser sein könnte.

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