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Das Berlin-Ultimatum (27. November 1958)

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In den Hauptstädten gewisser Westmächte werden Stimmen laut, daß diese Mächte den Beschluß der Sowjetunion, die Funktionen zur Aufrechterhaltung des Besatzungsstatus in Berlin niederzulegen, nicht anerkennen würden. Doch wie kann man die Frage so stellen? Wer heute von einer Nichtanerkennung der von der Sowjetunion vorgesehenen Schritte spricht, möchte offenbar mit der Sowjetunion nicht in der Sprache der Vernunft und der stichhaltigen Argumente, sondern in der Sprache der rohen Gewalt sprechen, wobei offenbar vergessen wird, daß auf das Sowjetvolk Drohungen und Einschüchterungsversuche ihre Wirkung verfehlen. Wenn hinter den Worten von «Nichtanerkennung» aber wirklich die Absicht steckt, wegen Berlin zur Gewalt zu greifen und die Welt zum Krieg zu zerren, so müssen die Anhänger einer solchen Politik dessen gewahr werden, daß sie eine äußerst schwere Verantwortung für alle ihre Folgen vor den Völkern, vor der Geschichte übernehmen. Wer angesichts der Lage in Berlin mit dem Säbel rasselt, der gibt nur ein übriges Mal kund, daß er an der Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in Berlin zu Aggressionszwecken interessiert ist.

Die Regierung der Sowjetunion möchte hoffen, daß die Aufgabe einer Normalisierung der Lage in Berlin, die unseren Staaten mit naturgemäßer Notwendigkeit durch das Leben selbst gestellt wird, jedenfalls so gelöst wird, wie dies die Erwägungen staatsmännischer Weisheit, die Interessen des Völkerfriedens erheischen, ohne unnötige Aufpeitschung der Nerven und Verschärfung des «Kalten Krieges».

Am wenigsten eignen sich bei der Lösung eines solchen Problems – wie des Berliner – Methoden der Erpressung und wahnwitzige Gewaltandrohungen. Derartige Methoden werden keine einzige Frage einer Lösung zuführen helfen, sie können die Situation nur zum gefährlichen Weißglühen bringen. Doch nur Wahnsinnige können sich darauf verlegen, zur Wahrung der Privilegien der Besatzer in Westberlin einen neuen Weltkrieg vom Zaune zu brechen. Würden derartige Wahnsinnige tatsächlich auftauchen, so braucht man nicht daran zu zweifeln, daß sich Zwangsjacken für sie finden werden.

Wenn die für die Politik der Westmächte verantwortlichen Staatsmänner in ihrem Herangehen an die Berliner Frage, wie auch an andere internationale Probleme, sich von Haß gegen den Kommunismus, gegen die sozialistischen Länder leiten lassen werden, so wird das zu nichts Gutem führen. Weder die Sowjetunion, noch irgendein anderer sozialistischer Staat können und wollen ihre Existenz gerade als sozialistische Staaten leugnen. Daher stehen sie, in einem unerschütterlichen brüderlichen Bund vereinigt, fest zu ihren Rechten, ihren Staatsgrenzen, wobei sie nach der Devise handeln: einer für alle, alle für einen. Jede Verletzung der Grenzen der DDR, Polens, der Tschechoslowakei, jeder Aggressionsakt gegen einen beliebigen Teilnehmerstaat des Warschauer Vertrages, wird von allen seinen Teilnehmern als Überfall auf sie alle angesehen werden und unverzüglich entsprechende Gegenmaßnahmen nach sich ziehen.

Die Sowjetregierung ist der Meinung, daß es vernünftig wäre, die in der Welt entstandene Situation anzuerkennen und normale Verhältnisse für die Koexistenz aller Staaten zu schaffen, den internationalen Handel zu entwickeln, die Beziehungen zwischen unseren Ländern nach den bekannten Prinzipien zu gestalten: gegenseitige Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität, Nichtangriff, gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Gleichheit und gegenseitiger Vorteil.

Die Sowjetunion, ihr Volk und ihre Regierung streben aufrichtig nach Wiederherstellung auf Vertrauen beruhender guter Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, Beziehungen, die durchaus möglich sind, wie die Erfahrung des gemeinsamen Kampfes gegen die Hitleraggressoren gezeigt hat, und die in Friedenszeiten unseren beiden Ländern nur die Vorteile einer sich gegenseitig bereichernden, geistigen und materiellen Zusammenarbeit unserer Völker und allen anderen Menschen die Wohltaten eines ruhigen Lebens in einem dauerhaften Frieden bringen würden.



Quelle: Note der Regierung der UdSSR an die Westmächte (27. November 1958); abgedruckt in Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe/Band 1, 10. November 1958 bis 9. Mai 1959. Bearbeitet von Ernst Deuerlein und Hannelore Nathan. Herausgegeben vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen. Alfred Metzner Verlag: Frankfurt am Main und Berlin, 1971, S. 163-77.

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