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Die Schriftstellerin Monika Maron kommentiert die Popularität von Christo und Jeanne-Claudes verhülltem Reichstag (3. Juli 1995)

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Plötzlich steht inmitten der mißmutigen Umtriebigkeit, verlockend und flüchtig wie eine Fata Morgana, Christos verhüllter Reichstag, und die Berliner tun etwas, das der Senat seinen öffentlich Bediensteten in Fortbildungskursen vergebens beizubringen versucht: Sie lächeln. Alles, was man ihnen vorwirft, nicht zu sein, sind sie innerhalb der Bannmeile um den Reichstag: großstädtisch, friedfertig, gelassen, sogar höflich, als benutzten sie die Verhüllung als Projektionsfläche für alles, was sie an ihrer Stadt und an sich selbst vermissen.

Berlin hat aus der Reichstagsverhüllung ein Fest gemacht, weil es ein Fest brauchte. Hätte es einen Skandal gebraucht, wäre es vielleicht ein Skandal geworden. Soviel verströmende Harmonie ist einigen Menschen natürlich verdächtig, und so kann sich jemand wie ich zum zweitenmal der Spießerei bezichtigt finden; zum erstenmal, weil ich kein Anhänger der Verhüllung war, und jetzt, weil sie mir gefällt.




Quelle: Monika Maron, „Ein gigantisches Spielzeug“, Der Spiegel, 3. Juli 1995, S. 24-25.

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