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Norbert Blüm und Wolfgang Schäuble diskutieren über den Standort der Hauptstadt (20. Juni 1991)

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Was alles dominierende Zentralstädte für Regionen und Provinzen bedeuten, zeigen uns Frankreich und England. Berlin wird auch ohne Regierungs- und Parlamentssitz die herausragende kulturelle und wirtschaftliche Metropole unseres Vaterlands sein. Es wird im wahrsten Sinne Hauptstadt Deutschlands. Niemand bestreitet diesen Rang Berlins. Braucht es dazu noch Regierungs- und Parlamentssitz? frage ich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Laßt dem kleinen Bonn Parlament und Regierung! Bonn verliert mit Bundestag und Regierung viel. Berlin gewinnt mit Bundestag und Regierung viele neue Probleme: Wohnungsprobleme, Raumordnungsprobleme, Infrastrukturprobleme.

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Kolleginnen und Kollegen! Holen wir die heutige Entscheidung auch herunter von der Höhe historischer, kultureller und politischer Perspektiven! Rücken wir sie auch einmal in den Blickwinkel der Betroffenen! Ein Staat, der mit dem Leben nicht rückgekoppelt ist, ist ein fremder, ferner, ein kalter Staat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Arbeitsplätze von hunderttausend Menschen in dieser Region sind durch einen Umzug von Regierung und Parlament betroffen.

(Zurufe von der FDP)

Jeder dritte Beschäftigte wäre betroffen. Hinzu kommen die Familien. Hunderttausend Beschäftigte! Das ist so, als würden zehn Stahlwerke oder Bergwerke in einer Stadt stillgelegt. Es sind nicht nur Staatssekretäre und Ministerialdirektoren in Bonn beschäftigt. Es sind Menschen, die hier ihre Existenz aufgebaut haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Man trägt seine Heimat nicht wie ein Schneckenhaus mit sich herum.

Dieses Jahrhundert hat den Menschen viel Entwurzelung angetan. Der Staat sollte nicht der Betreiber einer kollektiven Umsiedlung sein. Muß sein, was nicht sein muß? Die Wiedervereinigung darf nicht mit einem Programm von Heimatlosigkeit verbunden werden, in keinem Teil Deutschlands, in keiner Stadt! Wir leiden schon genug unter innerdeutschen Wanderungsbewegungen; wir dürfen sie nicht freiwillig verstärken.

Manche gehen zu leicht über die menschlichen Kosten des Umzugs hinweg. Es ist auch nicht kleinlich, auf die finanzielle Last des Umzugs hinzuweisen. Brauchen wir denn nicht heute und morgen jede Mark für den Aufbau in den neuen Bundesländern?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Die arbeitslose Frau oder der arbeitslose Mann, das junge Mädchen, das eine Lehrstelle sucht, der Junge in Gera, Leipzig, Rostock, Erfurt, Frankfurt an der Oder, Schwerin, Magdeburg, Dresden, Chemnitz, Halle oder Bitterfeld – sie haben wahrscheinlich andere Sorgen als die Frage, mit welchen Institutionen eine Hauptstadt versehen sein muß.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD – Buh-Rufe von Abgeordneten der FDP)

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