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Hermann von Helmholtz: Auszüge aus einer Rede aus Anlass seiner Berufung als Prorektor an der Universität Heidelberg (1862)

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Ich habe um so mehr Veranlassung, die Frage nach dem Zusammenhange der verschiedenen Wissenschaften hier zu erörtern, als ich selbst dem Kreise der Naturwissenschaften angehöre, und man diese in neuerer Zeit gerade am meisten beschuldigt hat, einen isolirten Weg eingeschlagen zu haben und den übrigen Wissenschaften, die durch gemeinsame philologische und historische Studien unter einander verbunden sind, fremd geworden zu sein. Ein solcher Gegensatz ist in der That eine Zeit lang fühlbar gewesen und scheint mir namentlich unter dem Einflusse der Hegel'schen Philosophie sich entwickelt zu haben, oder durch diese Philosophie mindestens klarer als vorher an das Licht gezogen worden zu sein. Denn am Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem Einflusse der Kant'schen Lehre war eine solche Trennung noch nicht ausgesprochen; diese Philosophie stand vielmehr mit den Naturwissenschaften auf genau gleichem Boden, wie am besten Kant's eigene naturwissenschaftliche Arbeiten zeigen, hauptsächlich seine auf Newton's Gravitationsgesetz gestützte, kosmogonische Hypothese, welche später unter dem Namen von Laplace ausgebreitete Anerkennung erhalten hat. Kant's kritische Philosophie ging nur darauf aus, die Quellen und die Berechtigung unseres Wissens zu prüfen und den einzelnen übrigen Wissenschaften gegenüber den Maassstab für ihre geistige Arbeit aufzustellen. Ein Satz, der a priori durch reines Denken gefunden war, konnte nach seiner Lehre immer nur eine Regel für die Methode des Denkens sein, aber keinen positiven und realen Inhalt haben. Die Identitätsphilosophie war kühner. Sie ging von der Hypothese aus, dass auch die wirkliche Welt, die Natur und das Menschenleben das Resultat des Denkens eines schöpferischen Geistes sei, welcher Geist seinem Wesen nach als dem menschlichen gleichartig betrachtet wurde. Sonach schien der menschliche Geist es unternehmen zu können, auch ohne durch äussere Erfahrungen dabei geleitet zu sein, die Gedanken des Schöpfers nachzudenken und durch eigene innere Thätigkeit dieselben wieder zu finden. In diesem Sinne ging nun die Identitätsphilosophie darauf aus, die wesentlichen Resultate der übrigen Wissenschaften a priori zu construiren. Es mochte dieses Geschäft mehr oder weniger gut gelingen in Bezug auf Religion, Recht, Staat, Sprache, Kunst, Geschichte, kurz in allen den Wissenschaften, deren Gegenstand sich wesentlich aus psychologischer Grundlage entwickelt, und die daher unter dem Namen der Geisteswissenschaften passend zusammengefasst werden. Staat, Kirche, Kunst, Sprache sind dazu da, um gewisse, geistige Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Wenn auch äussere Hindernisse, Naturkräfte, Zufall, Nebenbuhlerschaft anderer Menschen oft störend eingreifen, so werden schliesslich doch die beharrlich das gleiche Ziel verfolgenden Bestrebungen des menschlichen Geistes über die planlos waltenden Hindernisse das Uebergewicht erhalten und den Sieg erringen müssen. Unter diesen Umständen wäre es nicht gerade unmöglich, den allgemeinen Entwickelungsgang der Menschheit in Bezug auf die genannten Verhältnisse aus einem genauen Verständniss des menschlichen Geistes a priori vorzuzeichnen, namentlich wenn der Philosophirende schon ein breites empirisches Material vor sich hat, dem sich seine Abstractionen anschliessen können. Auch wurde Hegel in seinen Versuchen, diese Aufgabe zu lösen, wesentlich unterstützt durch die tiefen philosophischen Blicke in Geschichte und Wissenschaft, welche die Philosophen und Dichter der ihm unmittelbar vorausgehenden Zeit gethan hatten, und die er hauptsächlich nur zusammenzuordnen und zu verbinden brauchte, um ein durch viele überraschende Einsichten imponirendes System herzustellen. So gelang es ihm, bei der Mehrzahl der Gebildeten seiner Zeit einen enthusiastischen Beifall zu finden und überschwängliche Hoffnungen auf die Lösung der tiefsten Räthsel des Menschenlebens zu erregen; das letztere um so mehr, als der Zusammenhang des Systems durch eine sonderbar abstracte Sprache verhüllt war, und vielleicht von wenigen seiner Verehrer wirklich verstanden und durchschaut worden ist.

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