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Die roten Socken (24. Juni 1994)

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Große Anti-PDS-Koalitionen im Stadtrat sollten die Sozialisten in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg kaltstellen. Die Ausgrenzung machte die Verfemten stark. Niemand gab der PDS ein Amt, nie mußte sie ihr Können unter Beweis stellen. Nun gehören diese Städte zu ihren Hochburgen.

„Durch die Mammutkoalition kam es zu grotesken Fehlleistungen“, sagt Michael Will, Redakteur des Lokalblatts Unser Schwerin. „Alle lagen sich in den Haaren, und die PDS konnte sich mit populistischen Kampagnen profilieren.“ Auch der PDS-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt, Gerd Böttger, gibt zu: „Wir haben fast nichts gestaltet, wir haben fast nur verhindert.“

Spätestens seit ihrem jüngsten Wahlerfolg ist die PDS eine Partei, um die man auf kommunaler Ebene nicht mehr herumkommen wird. In Schwerin hält sie 18 von 47 Sitzen im Stadtrat. In Halle stellt sie mit 26 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Fraktion. Es gebe „durchaus nette und intelligente Leute“ in der PDS-Fraktion, sagt Jürgen Schmitz, für die CDU in der Stadtverordnetenversammlung von Halle. Und wenn es um eine vernünftige Sache gehe, dann „schaut man nicht hin, wo die Stimmen herkommen“. In der Hansestadt Wismar, wo die Sozialdemokraten jetzt ein sensationelles Wahlergebnis eingefahren haben, ist die PDS schon seit vier Jahren mit in der Verantwortung: Das Dezernat für Wohnungswesen ist ihres. „Wir arbeiten gut mit der PDS zusammen“, sagt die Bürgermeisterin Rosemarie Wilcken (SPD). Der Dezernent von der PDS, ein Spielzeugwarenhändler, ist ein netter Kerl, und seine Leistungen für die Stadt sind unbestritten, „aber er hat nicht mehr geleistet als andere auch“. Seither weiß Wismar: Die PDS kann nicht hexen.

„Ich habe allen Parteien die gleichen Arbeitsbedingungen geboten“, sagt Klaus Czundaj, CDU-Bürgermeister von Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. „Bei jeder Entscheidung versuche ich sie von Anfang an mit einzubeziehen.“ Und mehrmals ist er schon zu Parteiversammlungen der PDS gegangen, um für seine kommunalpolitischen Pläne zu werben. In dem mittelalterlichen Rathaus wechseln die Koalitionen von Fall zu Fall. „Sachfragen zwingen zum Konsens“, sagt Czundaj. Dem Problem der Finanzierung könne sich auch die PDS nicht entziehen. „Die müssen das nur verdolmetscht bekommen.“ Bei achtzig Prozent aller Beschlüsse des Stadtrats ist im Protokoll keine Gegenstimme vermerkt. Zur Haushaltsberatung ging der Rat in Klausur – drei Tage in einem entlegenen Hotel. Der Haushalt wurde einstimmig verabschiedet. Die PDS war selbstverständlich dabei.



Quelle: Sabine Rückert, Wolfgang Gehrmann, Kuno Kruse und Dirk Kurbjuweit, „Die Einheiz-Partei“, Die Zeit, 24. Juni 1994.

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