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Die roten Socken (24. Juni 1994)

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Nur ganz allmählich wandelt sich die Partei der Akademiker, der Angestellten und der Arbeitslosen. Noch vor drei Jahren kam das parteinahe Institut für Sozialdatenanalyse zu dem Schluß, daß sich vor allem die Verlierer der deutschen Einheit in die PDS geflüchtet hätten.

Jetzt freilich kann man in der Berliner PDS auch neue Gesichter entdecken: vor allem ganz junge Leute, Aufmucker, bunte Typen aus der Antifa-Szene. In jüngster Zeit kommen, eine Überraschung, auch Mittelständler, Einzelhändler und Kleingewerbler in die PDS. Es sind Ostdeutsche, die den wirtschaftlichen Start in die neue Zeit soeben geschafft haben. Manchmal mit einer kleinen Starthilfe der Partei.

Viele Neulinge sind angelockt worden durch das Charisma des Gregor Gysi. Die PDS wäre schwächer ohne ihn, den Hochglanzossi: „Ein begnadeter Intellektueller und auch Rhetoriker, natürlich auch ein Opportunist und ein Schlawiner. Aber immer mit sehr viel Charme, niemals grob.“ So beschreibt Gregor Gysi seinen Vater. Für den Sohn könnte man die gleichen Worte finden.

Ob er lümmelig und doch verständig die Sitzung der PDS-Gruppe im Bundestag leitet, ob er witzig und doch gescheit im Auto zwischen Köln und Siegen sich und seine Politik erklärt, man versteht bald, warum sich die Talk-Shows um ihn reißen. Gysis Kritik am Westen ist brillant vorgetragen, und sie sitzt, genauso die Art, wie er den Osten verteidigt. Wer den DDR-Bürgern ängstliche Angepaßtheit vorwirft, den erinnert Gysi daran, wie viele Wessis „mit schlotternden Knien“ beim Transit vor den DDR-Zöllnern kuschten.

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In Bonn dagegen nutzen die etablierten Parteien, selbst reichlich vergangenheitsvergessen, die Stasi-Last der PDS, die Partei zu isolieren. Gregor Gysi wurde im Bundestag schon als „Fettauge auf sozialistischer Soße“ beschimpft. Michael Glos, Landesgruppenvorsitzender der CSU, nennt die PDS-Abgeordneten „unappetitliche Figuren der SED-Nachfolgepartei“. Wenn Gysi und Kollegen in den Ausschüssen reden, hört niemand zu. Die Anträge gehen ins Leere. Das Klima ist eisig.

Der PDS-Bundestagsabgeordnete Gerhard Riege, der sich im Februar 1992 das Leben nahm, schrieb in seinem Abschiedsbrief: „Ich habe Angst vor dem Haß, der mir im Bundestag entgegenschlägt, aus Mündern und Augen und Haltung.“

Jürgen Reents, der Pressesprecher der Bundestagsgruppe, hat „einen Job mit hohem Freizeitwert“. Die Medien ignorieren die Arbeit der Abgeordneten weitgehend. So sind die Kameras in der Regel schon abgeschaltet, wenn ein PDS-Parlamentarier vor dem Bundestagsplenum redet. Als Gregor Gysi vergangene Woche vor den Delegierten des DGB reden wollte, verließ ein Teil der Gewerkschafter den Saal.

Doch die Rechnung geht nicht auf. Wer die PDS ihrer Vergangenheit wegen isoliert, grenzt Wähler aus, die auch eine DDR-Vergangenheit haben. „Ohne die kleinkarierte Siegermentalität, mit der man uns ausgeschlossen hat“, sagt Rolf Funda, PDS-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt, „stünden wir jetzt nicht da, wo wir stehen.“ Funda war als Student ein Anwärter der Stasi gewesen. Eine schwere Krankheit beendete seine Laufbahn, noch ehe er zum Einsatz kam. Sein Bienenfleiß läßt die Bürger den Makel vergessen: Mit sechzig Prozent der Stimmen wurde er zum Bürgermeister der Gemeinde Löderburg gewählt.

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