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Vergangenheitsaufarbeitung und Straßenumbenennungen (18. September 1991)

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Korrekturen im Osten und Westen angebracht

Die Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)/UFV hatte im Juni beantragt, zur Aufarbeitung der Geschichte Straßennamen umzubenennen, die „für historische Unrechtssituationen stehen“, sowohl im Osten als auch im Westen. Eine neue, verbindliche Definition bezieht sich nun – neben den schon gesetzlich fixierten Nazi-Straßennamen von 1933 bis 1945 – auf „aus der Zeit von 1945 bis 1989 stammende Straßennamen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig-politischen Wegbereitern und Verfechtern der stalinistischen Gewaltherrschaft, des DDR-Regimes und anderer kommunistischer Unrechtsregime . . . “ Damit ist die Richtung vorgegeben. Wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten hat, gehört gewiß nicht auf ein Straßenschild. Wie aber entscheidet man heute über die historische Einordnung von Persönlichkeiten? Der Historiker Klaus Mammach schrieb: „Wenn man Schulze-Delitzschs gedenken will (so soll ein Platz in Mitte heißen – T.H.), wieso müssen dann Liberale wie Wilhelm Külz und Otto Nuschke aus dem Gedächtnis der Berliner . . . gestrichen werden?“ Zählt hier allein ihre Zusammenarbeit mit den Kommunisten nach 1945? Immerhin war Külz ein führender liberaler Politiker der Weimarer Republik und 1926/27 Reichsinnenminister. Er starb 1948 (!), also noch vor DDR-Gründung. Nuschke war ein christlicher Politiker der Weimarer Republik, der nach dem 30. Januar 1933 Maßnahmen der Naziregierung anprangerte. Eine Leserin schrieb in diesem Zusammenhang zu Theodor Heuss, nach dem in Westberlin Platz und Weg heißen: „Daß er der erste Bundespräsident war, macht nicht seine politische Fehlleistung mit furchtbaren Folgen ungeschehen, als er 1933 seine Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz gab . . . “.

„Antidemokraten gab es nicht nur in der SED“, sagte ein Abgeordneter. „Geistig-politische Wegbereiter“ zieren Straßenschilder in ganz Berlin. Wie sollte man Kaiser Wilhelm einschätzen, der dreimal seinen Namen für Straßen und Plätze gab, oder Bismarck (zehnmal), oder die Hohenzollern (elfmal), nicht zu zählen die Preußen, Prinzen und Prinzregenten? Es gibt einen Hindenburgdamm, eine Tannenbergallee, zwei Sedanstraßen, eine Reichssportfeldstraße, ein „Fliegerviertel“ mit 16 von den Nazis nach „Fliegerhelden“ des ersten Weltkriegs benannten Straßen, allen voran Manfred von Richthofen.

Das ist auch unsere Geschichte. Nur offenbar eine ganz andere.



Quelle: Torsten Harmsen, „Überlebt Wilhelm die Straßen-Schlacht?“, Berliner Zeitung Nr. 218, 18. September 1991, S. 22.

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