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Vergangenheitsaufarbeitung und Straßenumbenennungen (18. September 1991)

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Vielleicht hätte die neue Situation nach dem Fall der Mauer die Chance gegeben, ohne Zorn und Eifer in ganz Berlin zu sondieren, welche Namen für unsere gemeinsame und getrennte Geschichte stehen. Es gibt unüberhörbare Stimmen dafür, auch im Westen der Stadt. Der TU-Historiker Prof. Reinhard Rürup sagte im Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses: „Die bloße Tatsache, daß eine Straße zu DDR-Zeiten einen neuen Namen erhielt, ist noch kein Grund zur Rückbenennung . . . Wir haben viele politische Namen in West-Berlin. Deshalb sollte man heute nicht verblüfft auf die Straßen im Osten gucken.“ Das gern entgegengehaltene Argument, daß Straßennamen im Westen „historisch gewachsen“ seien, abstrahiert von den großen Umbrüchen dieses Jahrhunderts in Deutschland, die sich in Straßennamen niederschlugen. So wurde die Berliner Königgrätzstraße (den Ort eines preußischen Sieges von 1866 bezeichnend) in der Weimarer Republik in Stresemannstraße umbenannt; hieß 1935 dann Saarlandstraße (aus Anlaß der Angliederung an das Deutsche Reich) und nach dem Krieg wieder Stresemannstraße. Aus dem Reichskanzlerplatz (1932) wurde der Adolf-Hitler-Platz (1939), dann wieder der Reichskanzlerplatz und Anfang der 60er Jahre der Theodor-Heuss-Platz.

Jedes System versuchte, sich vom vorhergehenden durch Umbenennungen abzugrenzen. Bereits 1926 wurde ein Stadtverordnetenausschuß eingesetzt, der die Umbenennung von Straßen und Plätzen vorbereiten sollte. Eine DDR-Ministerratsverordnung vom 30. März 1950 „zur Beseitigung nicht mehr tragbarer Benennungen von Straßen, Wegen und Plätzen“ leitete die Umbenennungswelle im Osten ein. Bis zum 31. Juli 1950 sollten Benennungen verschwinden, die „militaristischen, faschistischen oder antidemokratischen“ Charakter hatten. Wichtigstes Kriterium für Neubenennungen war die „enge Verbindung mit der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“.


Gebrochenes Verhältnis zu Opfern der Nazizeit

Auch die Straßen im Osten bezeichnen eine politische Entwicklungslinie und einen Umbruch dieses Jahrhunderts. Die Geschichte läßt sich nicht zurechtbiegen. In den westlichen Bezirken Berlins können sehr wohl Adenauer, Marx und Kaiser Wilhelm zur gleichen Zeit Straßenschilder zieren. Warum sollte nicht der Osten einige demokratisch-humanistische Traditionen einbringen, die er zweifellos auch vorzuweisen hat und die durch Namen wie Heine, Bebel, Tucholsky, Ossietzky oder einer größeren Zahl von Antifaschisten charakterisiert werden, die in der Nazizeit ihr Leben lassen mußten? Welches Zeichen könnte Berlin setzen mit dem Bekenntnis zu Ermordeten wie Lilo Herrmann, 28jährige Studentin und erste Frau Deutschlands, die 1938 aufgrund eines Volksgerichtshofs-Urteils wegen Widerstandes hingerichtet wurde. Viele dieser Namen sollen nun am besten verschwinden. Eine Autorin schreibt: „Die Opfer des Nazismus werden gleichgesetzt mit denen des Krieges . . . und mit denen des Stalinismus und der Stasi. Es wird vermischt, verwischt und nivelliert . . . Man soll wohl an der Würde der Opfer zu zweifeln beginnen und an der Notwendigkeit des Gedenkens.“ So verschwindet auch die Straße der Befreiung in Lichtenberg.

Sicher begrüßen es viele, daß wieder stadt- und geschichtsbezogene Namen auftauchen werden wie Rathausstraße, Gendarmenmarkt, Alt-Friedrichsfelde oder Breite Straße. Es gibt aber auch die Ansicht, daß die Geschichte einen Punkt gesetzt hat, sicherlich keinen Endpunkt, und daß man in aller Gelassenheit überlegen sollte, welche der unter alten Systemen vergebenen Namen wirklich nicht mehr tragbar sind. Vielleicht ist es an der Zeit, mit seiner ganzen Geschichte leben zu lernen. Im April 1967 verhinderten 100 000 Westberliner mit ihrer Unterschrift die Umbenennung des Kaiserdammes in Adenauerdamm. Ihnen ging es dabei wohl weniger um Kaiser Wilhelm, als um die Beibehaltung eines traditionellen Namens, der in der Historie eine – wie auch immer einzuschätzende – Rolle gespielt hat. Ein anderes Beispiel: Am 13. Juli 1991 votierten rund 150 Friedrichshainer auf einer Bürgerversammlung gegen die Umbenennung des Leninplatzes.

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