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Eigentum und Gerechtigkeit (19. Februar 2004)

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Da kommt mir noch ein anderer Vergleich in den Sinn. Wir Ostdeutsche waren also eure Hereros. Dass jemand so etwas behauptet, muss man hinnehmen. Dass sich niemand lautstark empört, ist niederschmetternd für uns. In Wahrheit haben wir in Sachen Bodenreform gar nichts fordern müssen. Wir haben davor gewarnt, sie rückgängig zu machen. Und für solche Warnungen war die westliche Seite durchaus empfänglich. Es wurde anerkannt, dass unsere Seite besser über uns Bescheid wusste als die westliche Seite. Bei allem Respekt vor westlicher Fachkenntnis, wir hatten die Feldkenntnis. Wo die Einigungsvertragsverhandlungen Kampfcharakter annahmen, war das nicht der Kampf zwischen Ost und West, sondern zwischen Bund und Ländern – um die Einigungskosten. Dass die Bundesregierung die Enteignungen von 1945 bis 1949 nicht rückgängig machen wollte, um aus dem Erlös des „Volkseigentums“ die Einheit zu finanzieren, wie Michael Naumann behauptet, ist Unfug. Es gab keine seriösen Schätzungen dieser Vermögenswerte, weil die DDR-Seite nur fantastische Substanzwertangaben und nicht Ertragswertangaben aufgrund von DM-Eröffnungsbilanzen liefern konnte. Die lagen erst Mitte 1992 vor. Es gab aber das niederschmetternde Gutachten des DDR-Planungschefs Schürer und anderer vom 31. Oktober 1989 über die verheerende ökonomische Lage der DDR und ihren Schuldenberg.

Unstrittig war die frei gewählte Volkskammer einhellig der Auffassung, dass die Enteignungen von 1945 bis 1949 nicht rückgängig gemacht werden können. Nicht dass wir jene Enteignungen als gerechtfertigt angesehen hätten. Wir haben immer gesagt, man kann nicht altes Unrecht durch neues Unrecht wiedergutmachen. Als neues Unrecht wäre die Ankündigung der generellen Restitution aufgenommen worden. Aber, so heißt es, ein großer Teil des enteigneten Landes war doch Volkseigentum geworden! Das wäre ja niemandem weggenommen worden. Es wurde aber von den LPGs bewirtschaftet und von der Landbevölkerung als „ihr Land“ angesehen. Obwohl die LPGs durch massive Repressionen zustande gekommen waren, waren sie inzwischen akzeptiert.

Wir wollten die Verhältnisse auf dem Lande nicht auf den Kopf stellen, und hätten wir Derartiges angekündigt, hätte das unabsehbare Folgen gehabt. Ich schließe terroristische Exzesse nicht aus. Ich übertreibe? Die Revolution blieb friedlich, aber 1990 war die DDR ein Vulkan. Nach einigen Morddrohungen bekamen die wichtigsten DDR-Politiker Personenschutz. Im Sommer 1990 gab es Absatzprobleme beim Schweinefleisch, weil die Sowjetunion keines mehr abnahm. Das genügte für heftige Bauerndemonstrationen, bei denen das Auto des Landwirtschaftsministers demoliert wurde. Das lässt erahnen, was der Widerruf der Bodenreform ausgelöst hätte.

Erleichtert hatten wir wahrgenommen, dass die Stasi und die SED-Funktionäre sich resigniert und enttäuscht zurückzogen. Das hätte anders kommen können, wenn sie ein Thema für den Schulterschluss gefunden hätten mit denen, die eine Entrechtung fürchteten. Das entscheidende Stichwort war bereits in aller Munde: „Ausverkauf der DDR“. Wer da gesagt hätte: „Die Restitution ist doch auch für euch von Vorteil!“, der hätte nur Öl ins Feuer gegossen – und Unrecht gehabt. Die ostdeutsche Landwirtschaft ist ja heute konkurrenzfähig, und was der Industrie vor allem fehlte, konnten auch die Alteigentümer nicht herbeizaubern: Absatzmärkte. Wir wissen nicht, wer Detlev Carsten Rohwedder erschossen hat. Gemeint war jedenfalls der Chef der Treuhand.

Beim Wahlkampf für die Volkskammer am 18. März 1990 war die Eigentumsfrage ein Hauptthema. Zwei Ängste verbanden die DDR-Bürger 1990 mit der ersehnten Vereinigung: die Angst vor Enteignung und die vor Abwertung. Die PDS hat beide fleißig geschürt. Im Büro des Ministerpräsidenten gingen zu beiden Fragen ungefähr gleich viele Briefe ein, nämlich jeweils circa 8000. Die Angst vor Arbeitslosigkeit kam später dazu.

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