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Das Beispiel Sket (21. Dezember 1992)

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„Uns kaputtmachen können wir alleine“, meint Holger Dalichow. In der Versandabteilung, die er leitet, ist es leer geworden. Eine Schnellverseilmaschine für Malaysia wird verpackt, Ersatzteile für eine Brech- und Klassieranlage im Iran stehen verladefertig da.

Ein halbes Dutzend verstaubter und angeschrammter Stahlcordseilmaschinen müssen aufpoliert werden. Vielleicht hat der Kunde in Rußland jetzt doch das Geld für die seit Monaten herumstehenden Anlagen.

Eine ausgeblichene rote Fahne mit Hammer und Sichel an der Decke der Versandhalle erinnert Dalichow noch immer an „den heißen Draht nach Osten“. 80 Prozent der Sket-Produktion gingen einst in die sozialistischen Bruderländer. 32 Walzwerke und Zehntausende von Maschinen für Kabel und Drahtseile aus Magdeburg stehen in der ehemaligen Sowjetunion.

Lieferverträge über fast drei Milliarden Mark sind unterschrieben. Aber die meisten Männer, deren Unterschrift sie tragen, sind nicht mehr im Amt, und ihre Nachfolger haben keine Devisen für den Kauf der Maschinen.

So recht können es die Sket-Arbeiter noch immer nicht fassen, daß ihr einst größter Kunde nicht mehr existiert. „Irgendwie muß es doch eine Lösung für die Ostmärkte geben“, hofft der Versandleiter verzweifelt. Seine 40 Mitarbeiter, die Hälfte der früheren Mannschaft, sind seit dem vorigen Jahr in Kurzarbeit. Viele kommen netto nicht mal mehr auf einen Tausender im Monat.

Zu Hunderten sind die jüngeren Sket-Mitarbeiter schon in den Westen abgewandert. „Unser Nachwuchs ist weg“, sagt Betriebsrat Hans Ehricke. Die älteren Fachkräfte sind kurz vor dem Vorruhestand.

Andächtig steht der gelernte Dreher vor einer riesigen Waldrich-Drehmaschine. Das gut 50 Jahre alte Monstrum kann Planscheiben bis zu drei Meter Durchmesser schleifen. „Wenn der Achim mal nach Hause geht“, sagt Ehricke und zeigt auf einen grauhaarigen Kollegen, „kann die keiner mehr bedienen.“

„Das Arbeiten hat zur DDR-Zeit mehr Spaß gemacht“, meint Ehricke wehmütig. Der Betrieb lief in drei Schichten. Um den Absatz mußte sich niemand sorgen. Die Thälmann-Werker fühlten sich als Elite der Arbeiterklasse. 27 Jahre lang stand Ehricke an der Drehbank in der ein paar hundert Meter langen Backstein-Halle aus dem vorigen Jahrhundert, so wie auch schon sein Vater.

Sie waren alle stolz auf ihre Unternehmenstradition. Schon zu Biedermeier-Zeiten war die Firma gegründet worden. Später übernahm Krupp das Werk und ließ dort Kanonenrohre für seine Dicke Berta gießen. Die Sowjets enteigneten die kapitalistischen Kriegsverbrecher. Doch noch in den fünfziger Jahren nannten sich die Kollegen standesbewußt Kruppianer.

Schwer beschäftigt sind jetzt nur noch die rund 1000 ehemaligen Sket-Mitarbeiter in der Gise (Gesellschaft für Innovation, Sanierung und Entsorgung). Die Beschäftigungsgesellschaft reißt auf 50 Hektar Werkgelände fast alles aus den alten Zeiten ab, bis auf die Verwaltungsgebäude. Hier sollen einmal ein Stadtteilzentrum und ein Gewerbepark entstehen. Was dann in einigen Jahren von Sket noch übrig ist, soll in Neubauten für rund 100 Millionen Mark im Süden des alten Werks umziehen.

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