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Ahlener Programm der CDU (Februar 1947)

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I. Die deutsche industrielle Wirtschaft in der Vergangenheit

1. Die deutsche industrielle Wirtschaft war technisch und wissenschaftlich in der Zeit von 1918 bis 1945 im allgemeinen auf der Höhe. Sie konnte jeden Vergleich mit der Wirtschaft anderer Länder nach dieser Richtung aushalten. Das gilt auch vom Bergbau. Den klarsten Beweis für die technische und wissenschaftliche Höhe der deutschen Industrie liefern die Erklärungen ausländischer Staatsmänner und Zeitungen über den ungeheuren Wert der von ihnen beschlagnahmten deutschen Patente und Geheimverfahren. Sie erklären, daß die deutsche Wissenschaft, Technik und Industrie in vielen Beziehungen voraus gewesen ist.

2. Das Verhältnis zwischen der deutschen industriellen Wirtschaft und dem Staate, der Gesamtheit des Volkes und dem einzelnen Arbeitnehmer zeigte in vieler Hinsicht schwere Mängel. Es darf auch hier nicht verkannt werden, daß in Deutschland, ehe es 1933 zum getarnten Staatssozialismus überging, erhebliche Teile der industriellen Wirtschaft in Gemeinbesitz waren: Bahnen fast restlos, einschließlich der Kleinbahnen und Straßenbahnen, Post, Telegraf, Rundfunk, Gas- und Wasserversorgung, der größte Teil der Erzeugung elektrischer Kraft, ein erheblicher Teil des Bergbaues in der britischen Zone, der Saarbergbau ganz.

Auch das Genossenschaftswesen war in Deutschland auf allen Gebieten einschl. dem des Geldwesens sehr stark entwickelt. Auf dem Gebiete des Geld- und Bankwesens war der gemeinwirtschaftliche Einfluß durch Reichsbank, Staatsbank, Landesbanken, Giroverbände der Sparkassen sehr groß. Dasselbe gilt vom Versicherungswesen durch die staatlichen und provinziellen Versicherungen.

Aber auf den wichtigen Gebieten des Bergbaues und der Schlüsselindustrien waren schwere Schäden vorhanden. Die Zeit von 1933 ab hat zu großen Zusammenballungen industrieller Unternehmungen geführt. Diese bekamen dadurch einen monopolartigen Charakter. Sie wurden für die Öffentlichkeit undurchsichtig und unkontrollierbar. Wenn der Aktienbesitz der großen industriellen Unternehmungen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z. B. Krupp, auch stark gestreut war, so wurde doch die Zusammensetzung des Aufsichtsrates und Vorstandes infolge der Vertretung der zahlreichen Aktionäre durch wenige Banken von einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Personen bestimmt. Die zu dem engen Kreis der Vertreter der Großbanken und der großen industriellen Unternehmungen gehörigen Personen hatten infolgedessen eine zu große wirtschaftliche und damit zu große politische Macht.

Das Verhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Betriebe war vor 1933 im Beginn einer die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigenden Entwicklung. Diese Entwicklung war aber 1933 noch nicht zu einem befriedigenden Abschluß gelangt. Während der Jahre 1933 bis 1945 waren auch die größeren industriellen Unternehmungen der Sache nach, wenn auch nicht dem Namen nach, Staatsbetriebe. Der nationalsozialistische Staat nahm sich das Recht, jede leitende Persönlichkeit, wenn sie ihm politisch oder wirtschaftlich widerstrebte, ohne weiteres zu entfernen; er vergab Aufträge, er verteilte dementsprechend die Rohstoffe, die Arbeitskräfte, er setzte Preise, Löhne usw. fest.

Der Arbeitnehmer war gegenüber seinem Betrieb machtlos. Es gab keine Lohnbewegungen, keine Lohnerhöhungen, keinen Wechsel des Arbeitsplatzes, kein Mitspracherecht bei der Führung der Betriebe. Es herrschte im vollen Umfang ein getarnter Staatssozialismus.

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