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Memorandum des US-Außenministeriums (20. Dezember 1958)

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Der sowjetische Standpunkt, daß eine Partei eines multilateralen Abkommens, das bestehenden Rechten Ausdruck verleiht, dieses Abkommen zurückweisen und sich einseitig von ihren darin übernommenen Verpflichtungen befreien und solche Rechte als null und nichtig erklären kann, ist unhaltbar. Bei dem Fehlen der Zustimmung der anderen Parteien zur Aufhebung des Abkommens oder bei dem Fehlen einer genau festgelegter Geltungsdauer des Abkommens selbst müßte die Frage der Aufhebung gemäß dem Völkerrecht gerechtfertigt werden.

Das Völkerrecht aber erkennt unter solchen Umständen kein Recht der einseitigen Aufhebung an.

Um ihren Standpunkt in dieser Frage in die richtige Perspektive zu rücken, möchten die Vereinigten Staaten hervorheben, daß – wenn auch, wie oben festgestellt, keine Übereinkunft oder zeitliche Begrenzung bezüglich der Dauer der alliierten Besatzung Deutschlands bestand, wobei die Dauer der Besatzung anerkanntermaßen von der Länge der Zeit abhängen sollte, die notwendig wäre, um die Zwecke der Besatzung zu erreichen, und wenn es auch viele Jahre dauern sollte – die Vereinigten Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung der alliierten Regierungen anerkannt haben, eine Friedensregelung mit Deutschland zu erreichen und die Besetzung Deutschlands nicht unnötigerweise zu verlängern. Man darf annehmen, daß die angesichts der ganzen Welt unternommenen Bemühungen der Westmächte, mit der sowjetischen Regierung über die Bedingungen einer solchen Friedensregelung Übereinstimmung zu erzielen, wohl bekannt sind und für sich selbst sprechen.

1. Auf der ersten Sitzung der zweiten Tagung des Rates der Außenminister (in Paris im Jahre 1946) schlug Außenminister Byrnes vor, daß eine Sonderkommission eingesetzt werden sollte, um einen deutschen Friedensvertrag zu erörtern. Am 15. Mai 1946 empfahl er die Ernennung von Sonderbeauftragten, um den Entwurf einer Friedensregelung für Deutschland vorzubereiten, den der Rat einer am 12. November 1946 einzuberufenden Friedenskonferenz unterbreiten sollte.

2. Auf der dritten Sitzung des Rates der Außenminister (1946 in New York) bestand Außenminister Byrnes darauf, daß der Rat umgehend seine Stellvertreter für Deutschland ernennen sollte und daß diese Stellvertreter das Problem vor der Moskauer Sitzung untersuchen sollten.

3. Der vorgeschlagene Friedensvertrag wurde auf der Moskauer Sitzung des Rates der Außenminister im März 1947 sowie im gleichen Jahr in London und 1949 in Paris erörtert. Die von den Vereinigten Staaten ständig eingenommene Haltung zugunsten einer endgültigen Friedensregelung mit Deutschland ist somit der Öffentlichkeit bekannt.

4. Auf der Pariser Sitzung der Stellvertreter des Rates der Außenminister wurde vom 5. März bis zum 22. Juni 1951 ohne jeden Erfolg versucht, wenigstens Übereinstimmung über die Tagesordnung für eine Konferenz zur Erörterung der deutschen Frage zu erreichen (siehe Abschnitt 37).

Tatsache war, daß während der Zeit der Gespräche zwischen der Sowjetunion und den westlichen Besatzungsmächten von 1946 bis 1951 die Sowjetunion in ihrer Kontrollzone ein Regierungssystem eingeführt hatte, das sich auf bewaffneter Gewalt und Polizeistaatmethoden gründete. Die westlichen alliierten Mächte können die Personen nicht akzeptieren, die als Repräsentanten Ostdeutschlands herausgestellt wurden. Sie können sie nur als Werkzeuge der Sowjetunion ansehen. Die Westmächte haben daher auf der deutschen Wiedervereinigung auf der Grundlage freier Wahlen als einer Voraussetzung für Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland bestanden. Die Sowjetunion hat darauf bestanden, daß die von ihr einzeln ausgewählten ostdeutschen Vertreter bei einer Wiedervereinigung das gleiche Mitspracherecht haben sollten, wie die frei gewählten Vertreter Westdeutschlands. Somit hat die Ablehnung demokratischer Prinzipien durch die Sowjets die Anstrengungen zunichte gemacht, ein Abkommen über eine Friedensregelung mit Deutschland zu erreichen, wie man sie sich während des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit vorgestellt hatte.

Tatsache bleibt, daß die Westmächte das Recht Deutschlands auf eine endgültige Friedensregelung und eine Beendigung der Besatzungszeit unterstützt haben und jetzt noch unterstützen. Die Vereinigten Staaten vertreten den Standpunkt, daß es bei ihrer gegebenen Bereitschaft, die Besatzungszeit mit legitimen Mitteln zu einem Ende zu bringen, keine juristischen oder moralischen Zweifel an der Berechtigung der Vereinigten Staaten geben kann, ihr Besatzungsrecht in Berlin und ihr sich hieraus ableitendes Recht auf Zugang nach Berlin aufrechtzuerhalten, und daß die Versuche der Sowjetunion, diese Rechte anzugreifen und sich in sie einzumischen, eine Verletzung des Völkerrechtes darstellen.



Quelle: Memorandum des US-State Department vom 20. Dezember 1958; abgedruckt in Heinrich von Siegler, Hg., Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961. Hauptband II, Chronik der Ereignisse von der Aufkündigung des Viermächtestatus Berlins durch die UdSSR im November 1958 bis zur Berlin-Sperre im August 1961. Zweite ergänzte und erweiterte Auflage in drei Bänden. Siegler & Co, KG. Verlag für Zeitarchive: Bonn, Wien, Zürich, 1961, S. 56-58.

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