GHDI logo

Ansprache des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita S. Chruschtschow auf einem sowjetisch-polnischen Treffen in Moskau (10. November 1958)

Seite 3 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Auch die finanzielle Lage Westdeutschlands ist heute fester als die in England und Frankreich. Man denke bloß an die Gold- und Devisenreserven dieser Länder. Laut der offiziellen Statistik betrugen diese Reserven in Westdeutschland Ende 1957 über 5,6 Mrd. Dollar gegenüber 2,37 Mrd. in England und 775 Mill. in Frankreich. All diese Wirtschaftsressourcen Westdeutschlands werden in den Dienst des sich aufrichtenden deutschen Imperialismus gestellt.

Welcher der Hauptbestimmungen des Potsdamer Abkommens betreffs der Entmilitarisierung Westdeutschlands und der Nichtzulassung des Wiederauflebens des Faschismus wir uns immer auch zuwenden mögen, gelangen wir unvermeidlich zur Feststellung, daß diese Bestimmungen, unter denen die Unterschriften der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs stehen, von ihnen verletzt wurden.

Was ist nach alledem vom Potsdamer Abkommen übriggeblieben?

Übriggeblieben ist faktisch nur eins: Der sogenannte vierseitige Status Berlins, d. h. eine Lage, wo die drei Westmächte, die USA, England und Frankreich, in Westberlin schalten und walten könnten und diesen Teil der Stadt, die die Hauptstadt der DDR ist, gewissermaßen zu einem Staat im Staat machen und, dies benutzend, von Westberlin aus Wühlarbeit gegen die DDR, gegen die Sowjetunion und andere Länder des Warschauer Vertrages treiben. Und überdies genießen sie noch das Recht eines ungehinderten Verkehrs zwischen Westberlin und Westdeutschland durch den Luftraum, über Eisenbahnen, Autobahnen und Wasserstraßen der DDR, die sie nicht einmal anerkennen wollen.

Es fragt sich, für wen ist diese Lage vorteilhaft und warum verletzten die USA, Frankreich und England nicht auch diesen Teil des vierseitigen Abkommens? Das ist vollkommen klar: Sie denken nicht daran, diesen Teil der Potsdamer Beschlüsse zu verletzen, im Gegenteil, sie klammern sich mit allen Mitteln daran, denn das Abkommen über Berlin ist für die Westmächte und nur für sie allein vorteilhaft. Die Westmächte wären natürlich nicht abgeneigt, diese „Alliierten“- Privilegien endlos zu verlängern, obwohl sie die rechtliche Grundlage, auf der ihr Verbleib in Berlin beruhte, schon längst vernichtet haben.

Wäre es für uns nicht an der Zeit, die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen, daß die wichtigsten Punkte des Potsdamer Abkommens, die die Sicherheit in Europa, also auch in der ganzen Welt betreffen, verletzt wurden und daß gewisse Kräfte fortfahren, den deutschen Militarismus aufzupäppeln und ihn eifrig in jene Richtung zu stoßen, in die man ihn vor dem 2. Weltkrieg trieb, d. h. gegen den Osten? Ist es nicht an der Zeit, unsere Einstellung zu diesem Teil des Potsdamer Abkommens zu revidieren und ihn abzulehnen?

Offenbar ist die Zeit gekommen, daß die Staaten, die das Potsdamer Abkommen unterzeichnet haben, die Überreste des Besatzungsregimes in Berlin ablehnen und damit ermöglichen, eine normale Lage in der Hauptstadt der DDR herbeizuführen. Die Sowjetunion wird ihrerseits der souveränen Deutschen Demokratischen Republik jene Funktionen in Berlin übergeben, die die sowjetischen Organe noch innehaben. Ich glaube, daß dies richtig wäre.

Mögen die USA, Frankreich und England selber ihre Beziehung zur DDR gestalten, sich selber mit ihr verständigen, wenn sie sich für irgendwelche Fragen interessieren, die Berlin betreffen. Was die Sowjetunion anbelangt, so werden wir unsere Bündnisverpflichtungen gegenüber der DDR heilig einhalten, d. h. jene Verpflichtungen, die sich aus dem Warschauer Vertrag ergeben und die wir der DDR wiederholt bestätigt haben.

Sollten irgendwelche aggressive Kräfte gegen die DDR, die ein gleichberechtigtes Mitglied des Warschauer Vertrages ist, vorgehen, so werden wir es als ein Vorgehen gegen die Sowjetunion, gegen alle dem Warschauer Vertag [an]gehörenden Länder betrachten. Wir werden uns dann zur Verteidigung der DDR erheben und das wird Verteidigung der grundlegenden Interessen, der Sicherheit der Sowjetunion, des gesamten sozialistischen Lagers und der Sache des Friedens in der ganzen Welt bedeuten.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite