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Berliner Erklärung der drei Westmächte und der Bundesrepublik zur Wiedervereinigung (29. Juli 1957)

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8. Die Westmächte haben nie verlangt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland der Organisation des Nordatlantikvertrages beitreten muß. Die Bevölkerung eines wiedervereinigten Deutschlands wird durch ihre frei gewählte Regierung selbst bestimmen können, ob sie an den Rechten und Pflichten dieses Vertrages teilhaben will.

9. Sollte sich die gesamtdeutsche Regierung in freier Entscheidung für den Beitritt zur NATO entschließen, so sind die Westmächte nach Konsultation der anderen Mitglieder dieser Organisation bereit, der Regierung der Sowjetunion und den Regierungen anderer Staaten Osteuropas, die einem europäischen Sicherheitspakt beitreten, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bedeutsame und weitreichende Zusicherungen zu geben. Die Westmächte sind auch bereit, im Rahmen eines für beide Seiten annehmbaren europäischen Sicherheitsabkommens zu gewährleisten, daß sie im Falle des Beitritts eines wiedervereinigten Deutschlands zur NATO keine militärischen Vorteile aus dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte ziehen werden.

10. Die Westmächte können jedoch nicht zugeben, daß der Bestand der NATO an sich zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht wird.

11. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Verbindung mit dem Abschluß von europäischen Sicherheitsvereinbarungen würde das Zustandekommen eines umfassenden Abrüstungsabkommens erleichtern. Umgekehrt könnten die Anfänge einer wirksamen Teilabrüstung dazu beitragen, noch offenstehende wichtige politische Probleme wie die Wiedervereinigung Deutschlands zu regeln. Einleitende Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung müssen zu einem umfassenden Abrüstungsabkommen führen, das eine vorherige Lösung der Frage der deutschen Wiedervereinigung voraussetzt. Die Westmächte werden keinem Abrüstungsabkommen beitreten, das der Wiedervereinigung Deutschlands im Wege stehen würde.

12. Alle Abrüstungsmaßnahmen, die auf Europa angewandt werden, müssen die Zustimmung der betroffenen europäischen Nationen erhalten und die Verknüpfung der europäischen Sicherheit mit der deutschen Wiedervereinigung berücksichtigen.

Die vier Regierungen halten an der Hoffnung fest, die Sowjetregierung werde zu der Einsicht gelangen, daß es nicht in ihrem Interesse liegt, die derzeitige Teilung Deutschlands aufrechtzuerhalten. Die Westmächte sind bereit, mit der Sowjetunion alle diese Fragen zu jedem Zeitpunkt zu besprechen, der begründete Aussicht bietet, Fortschritte zu erzielen. Sobald dieser Zeitpunkt gekommen ist, wird es viele Punkte geben, die sich auf das Verfahren zur Wiedervereinigung und auf die Bestimmungen eines Zusicherungsvertrages beziehen und die in eingehenden Verhandlungen ausgearbeitet werden müssen.

Bevor es zu ernstlichen Verhandlungen kommt, können die Westmächte ihre Auffassung zu allen Punkten nicht endgültig festlegen. Auch können sie nicht im voraus die Gewährung von Zugeständnissen erwägen, bei denen gegenwärtig nicht mit einem entsprechenden Entgegenkommen der sowjetischen Seite gerechnet werden kann. Wenn Verhandlungen erfolgreich sein sollen, müssen beide Seiten sie in einem Geiste der Verständigungsbereitschaft und der Beweglichkeit beginnen. Durch diese Erklärung möchten die Westmächte in voller Übereinstimmung mit der Bundesrepublik erneut ihren aufrichtigen Willen bekunden, mit der Sowjetunion zu verhandeln, mit dem Ziel, eine europäische Regelung zu erreichen und zu beweisen, daß das höchste Ziel ihrer Politik die Herbeiführung eines gerechten und dauerhaften Friedens ist.



Quelle: Berliner Erklärung der drei Westmächte und der Bundesrepublik vom 29. Juli 1957 zur Wiedervereinigung; abgedruckt in Heinrich von Siegler, Hg., Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961. Hauptband I, Chronik der Ereignisse von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Aufkündigung des Viermächtestatus Berlins durch die UdSSR im November 1958. Zweite ergänzte und erweiterte Auflage in drei Bänden. Siegler & Co, KG. Verlag für Zeitarchive: Bonn, Wien, Zürich, 1961, S. 669-71.

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