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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Auszüge aus Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817)

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§. 5.
Die Philosophie wird hiemit hier für die Wissenschaft der Vernunft ausgegeben und zwar insofern die Vernunft ihrer selbst als alles Seyns bewußt wird.

Alles andere Wissen, als das philosophische ist Wissen von Endlichem, oder ein endliches Wissen, weil überhaupt darin die Vernunft als ein subjectives einen gegebenen Gegenstand voraussetzt, somit sich selbst nicht in ihm erkennt. Wenn auch die Gegenstände im Selbstbewußtseyn gefunden werden, wie Recht, Pflicht u.s.f. so sind es einzelne Gegenständen neben und ausser welchen, somit auch außer dem Selbstbewußtseyn, sich der übrige Reichthum des Universums befinde. Der Gegenstand der Religion ist zwar für sich der unendliche Gegenstand, der Alles in sich befassen soll; aber ihre Vorstellungen bleiben sich nicht getreu, indem ihr auch wie der die Welt ausser dem Unendlichen selbständig bleibt, und was sie als die höchste Wahrheit angibt, zugleich unergründlich, Geheimniß und unerkennbar, ein Gegebenes, und nur in der Form eines Gegebenen und Aeusserlichen für das unterscheidende Bewußtseyn bleiben soll. In ihr ist das Wahre in Gefühl, Anschauung, in Ahndung, in Vorstellung, in der Andacht überhaupt, auch mit Gedanken durchflochten, aber die Wahrheit nicht in der Form der Wahrheit. Sie macht überhaupt eine eigene, von dem übrigen Bewußtseyn abgetrennte Region aus, wenn auch ihr Gemüth allumfassend ist. – Die Philosophie kann auch als die Wissenschaft der Freyheit betrachtet werden; weil in ihr die Fremdartigkeit der Gegenstände und damit die Endlichkeit des Bewußtseyns verschwindet, so fällt allein in ihr die Zufälligkeit, Naturnothwendigkeit, und das Verhältniß zu einer Aeusserlichkeit überhaupt, hiemit Abhängigkeit, Sehnsucht und Furcht hinweg; nur in der Philosophie ist die Vernunft durchaus bey sich selbst. – Aus demselben Grunde hat in dieser Wissenschaft die Vernunft auch nicht die Einseitigkeit einer subjectiven Vernünftigkeit, weder als ob sie Eigenthum eines eigenthümlichen Talents oder Geschenk eines besondern göttlichen Glücks – oder auch Unglücks – sey, wie der Besitz künstlerischer Geschicklichkeit, sondern da sie nichts ist, als die Vernunft im Bewußtseyn ihrer selbst, so ist sie ihrer Natur nach fähig allgemeine Wissenschaft zu seyn. Noch ist sie der Idealismus, in welchem der Inhalt des Wissens nur die Bestimmung eines durch Ich gesetzten, eines subjectiven innerhalb des Selbstbewußtseyns eingeschlossenen Erzeugnisses hat; weil die Vernunft ihrer selbst als des Seyns bewußt ist, ist die Subjectivität, das Ich, das sich als ein Besonderes gegen die Objecte, und seine Bestimmungen als in ihm und von anderm ausser oder über ihm befindlichen unterschiedene weiß, aufgehoben und in die vernünftige Allgemeinheit versenkt.

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