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Ernst Dronke: Auszüge aus Berlin (1846)

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Sind diese Leute schon schlimm daran, so liegen dagegen diejenigen in den kläglichsten Verhältnissen, welche sich auf Zufall hin den ersten besten Beschäftigungen abwechselnd in die Arme werfen müssen. Es sind dies meist Familien, wo der Mann krank oder gestorben ist und entweder schwache Großeltern oder zahlreiche unmündige Kinder mit zu ernähren bleiben. Die Kinder werden, sobald sie im mindesten die Kraft dazu haben, in die Fabriken geschickt. Hier bleiben sie von morgens 5 bis abends 9 Uhr und verdienen die Woche 15 bis 22½ Silbergroschen, also 3 Silbergroschen täglich. Nicht nur, daß sie physisch bei der anstrengenden Arbeit verkommen, wie solches der bei ihnen einheimische Lungenhusten, die gebückte Körperhaltung und die krummen Beine beweisen, auch moralisch werden sie durch dies Leben in jeder Weise abgestumpft und vernichtet. In den Bleiweißfabriken unter anderen werden sie durch das Einatmen der giftigen Dünste total ruiniert, denn selbst ein kräftiger Mann kann den Aufenthalt in denselben kaum einige Jahre ertragen. Und doch senden die Mütter ihre Kinder hierher, obwohl sie wissen, daß die Kinder einem sicheren Tode entgegengehen. Vielleicht gerade weil sie es wissen. Die Kinder sind ihnen zur Last, und das Elend raubt ihnen jedes menschliche Gefühl, zudem hat ja die wohlanständige Gesellschaft diese Fabriken gegründet, und es kann in den Augen derselben wohl kein Verbrechen sein, wenn man Kinder dorthin schickt. Es kommt aber nicht so selten vor, daß sich Eltern ihrer Kinder durch offenes Verbrechen „entledigen"; sie haben ihnen keine Nahrung zu geben, sie nähren sich oft selbst nur durch Abnagen der Knochen, welche sie vor den Wassersteinen der Küchen finden, was sollen sie mit den Kindern machen? Auch gehören hierher alle vorzugsweise sogenannten Kindermorde: wenn junge Mütter ihr Neugeborenes umbringen, weil sie nicht wissen, wie sie es ernähren sollen. Die Berliner Zeitungen bringen nicht selten die Nachricht, daß man in Kloaken solche unbekannten Gebeinchen gefunden hat.



Quelle: Ernst Dronke, Berlin (1846). Ost-Berlin: Rütten & Loening, 1953, S. 11-19, 34-46, 229-37.

Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Rütten & Loening, Berlin.

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