GHDI logo

Ansprache des Bundeskanzlers, Konrad Adenauer, bei dem Empfang durch die Alliierten Hohen Kommissare (21. September 1949)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Es ist der eindeutige Wille der neuen Bundesregierung, in erster Linie die großen sozialen Probleme in Angriff zu nehmen. Sie ist überzeugt, daß ein gesunder Staat sich nur dann entwickeln kann, wenn den einzelnen ein Minimum wirtschaftlicher Existenzfähigkeit garantiert ist. Ehe es nicht gelingt, den Treibsand der Millionen von Flüchtlingen durch ausreichenden Wohnungsbau und Schaffung entsprechender Arbeitsmöglichkeiten in festen Grund zu verwandeln, ist eine stabile innere Ordnung in Deutschland nicht gewährleistet. Unordnung und Krise in diesem Teil Europas bedeuten aber auch eine ernste Gefährdung der Sicherheit des gesamten Kontinents. Das soziale Programm der Bundesregierung soll deshalb gleichzeitig auch der Sicherheit einer friedlichen Entwicklung Europas dienen. Selbstverständlich werden wir alles daransetzen, um aus eigener Kraft diese Aufgaben zu bewältigen. Ich glaube aber schon heute zu der Auffassung berechtigt zu sein, daß das Vertriebenenproblem nicht allein ein nationales, sondern ein internationales Problem ist, das zu seiner Lösung der Hilfe der übrigen Welt bedarf. Die Bundesregierung würde es deshalb äußerst dankbar begrüßen, wenn die Hohen Kommissare sich bei ihren Regierungen dafür verwenden wollten, dieser Frage alsbald erhöhte Beachtung zu schenken.

Wenn wir eine Friedensordnung in Europa herstellen wollen, so kann das nach Auffassung der Bundesregierung nur dadurch geschehen, daß grundsätzlich neue Wege eingeschlagen werden. Wir sehen solche Wege in den Bestrebungen, die eine europäische Föderation zum Ziele haben, wie sie in Straßburg in ersten Ansätzen nunmehr verwirklicht worden sind. Wir glauben aber, daß eine solche Föderation nur dann Lebenskraft besitzt, wenn sie auf einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Völker beruht. Die aufgrund des Marshallplans ins Leben gerufene Organisation weist einen guten Weg. Deutschland ist gern bereit, hier in eigener Verantwortung mitzuwirken. Wir sehen einen weiteren Weg, der günstige Voraussetzungen für eine wirkliche, lebensfähige europäische Föderation schaffen könnte, auch darin, daß man die Regelung der Verhältnisse an der Ruhr aus ihrer Einseitigkeit löst und sie allmählich zu einer Keimzelle einer Ordnung werden läßt, die auch die Grundstoffindustrien der anderen europäischen Länder umfaßt. Wir sind gewiß, daß die enge nationalstaatliche Idee des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts heute als überwunden gelten muß. Aus ihr ist der Nationalismus erwachsen mit seiner Zersplitterung des europäischen Lebens. Wenn wir zurückfinden zu den Quellen unserer europäischen Kultur, die aus dem Christentum entspringen, muß es uns gelingen, die Einheit des europäischen Lebens auf allen Gebieten wiederherzustellen. Dies ist die allein wirksame Garantie für die Erhaltung des Friedens.




Quelle: AP-Meldung (21. September 1949); abgedruckt in Dokumente zur Deutschlandpolitik, herausgeben vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs, II. Reihe, Band 2, Die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 7. September bis 31. Dezember 1949. Veröffentliche Dokumente, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters. München: R. Oldenbourg Verlag, 1996, S. 43-45.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite