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Emil Lehmanns Petition zur Verbesserung der Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen (25. November 1869)

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Insoweit diese Verordnung, wie ihre Einleitung besagt, die Beseitigung von Zweifeln über die rückwirkende Kraft des nunmehrigen § 33 der Verfassungsurkunde in Bezug auf die bestehende Gesetzgebung beabsichtigt, dürfte ihre Zweckmäßigkeit kaum zu bezweifeln sein. Allein wenn man sie näher ins Auge faßt, stellt sich sofort die Schwierigkeit heraus, das in die Form einer kurzen Verordnung zu bringen, was den Gedanken ausdrücken soll: alle entgegenstehende Bestimmungen sind aufgehoben.

Denn die Verordnung reicht weder in dieser Richtung aus, noch hält sie sich in den engen Grenzen einer bloßen ausführenden belehrenden Verordnung.

Mit den Grundsätzen der Religionsfreiheit und der bürgerlichen und politischen Gleichberechtigung aller Konfessionen sind alle Gesetze und Verordnungen gefallen, welche das Gegentheil derselben aussprechen.

Bezeichnet man einzelne dieser gefallenen Gesetze, ohne der übrigen mit zu gedenken, so kann leicht der Zweifel entstehen, als ob gerade diese noch fort gelten. Dies ist beispielsweise gewiß nicht der Fall rücksichtlich folgender, gleichwohl in der Verordnung nicht erwähnter Bestimmungen:

1. der Verordnung vom 6. Mai 1839, die Schließung der Ehebündnisse unter den Juden betr. Diese Verordnung basirt auf den als erledigt bezeichneten Bestimmungen des Gesetzes vom 6. Mai 1839 und enthält in den §§ 2 bis 4 Anordnungen, welche schon seit längerer Zeit nicht gehandhabt wurden. Die Vorschrift in § 2 ist durch die für die Geistlichen aller Konfessionen bestimmte Verordnung vom 5. Februar 1852 aufgehoben, die Norm der §§ 3, 4, nach welcher sächsische Juden im Auslande oder mit Ausländerinnen sich nur mit Genehmigung des Ministerii des Innern verehelichen dürfen, ist mindestens seit Jahrzehnten nicht gehandhabt worden. Dennoch ist die Verordnung formell erst durch das Gesetz vom 3. Dezember 1868 aufgehoben worden. Ebenso ist durch dasselbe erledigt:

2. Nr. 6 und 7 der Verordnung vom 5. Juli 1867, die Ausführung der Verfassung des norddeutschen Bundes betr.

Weit wichtiger erscheint die Erledigung, welche

3. die Worte: „die Verschiedenheit der Religion begründet in der Regel keine Verschiedenheit des bürgerlichen Rechtes“ in § 51 des bürgerlichen Gesetzbuches vom 2. Januar 1863 trifft. Dieser Satz wird in den Motiven [Siebenhaar, Kommentar I. Seite 83] damit begründet, daß „die christliche Religion, wie sie in den in Sachsen aufgenommenen christlichen Kirchengesellschaften repräsentirt werde, nach dem ersten Satze des § 33 der Verfassungsurkunde allein den Vollgenuß aller bürgerlichen Rechte gewähre; daher nähmen alle Nichtchristen eine Ausnahmestellung ein.“ Gegen diese Bestimmung, deren Motivirung und die Anwendung des damaligen § 33 der Verfassungsurkunde auf das bürgerliche Recht, waren die israelitischen Religionsgemeinden zu Dresden und Leipzig durch den Verfasser dieser Eingabe am 30. April 1861 vorstellig geworden und hatten auf die angemessenere Fassung in § 46 des früheren Entwurfs hingewiesen: „Die Verschiedenheit der Religion und des Standes hat auf die Privatrechte keinen Einfluß, außer insofern dies durch die Gesetze besonders angeordnet ist.“

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