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Der Chefredakteur der Zeit über die Nürnberger Prozesse (22. Januar 1948) und die amerikanische Reaktion (12. Februar 1948)

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II. Am 12. Februar 1948, druckte Die Zeit als Reaktion auf den obigen Artikel folgenden Leserbrief – Absender: das amerikanische Office of Chief of Council for War Crimes


An den Chefredakteur
Sehr geehrter Herr!

Mit großem Interesse las ich den von Herrn Tüngel verfaßten Artikel Nürnberger Recht in Ihrer Ausgabe vom 22. Januar 1948. Ich begrüße es, daß man in der deutschen Presse auch ab und zu einen Journalisten findet, der eine eigene Meinung hat und ausdrückt. Ich begrüße es noch mehr, wenn diese Meinung auf Tatsachen basiert.

Ihr »Wir klagen an« hätte in meinen Ohren geklungen, hätte der Mann an Tatsachen, verbunden mit dem Pathos des Artikels, mich nicht zur Heiterkeit gereizt, weil er mich so sehr an den Völkischen Beobachter erinnerte. Als überzeugter Demokrat habe ich in elf Feldzügen als Frontsoldat unter anderem auch dafür gekämpft, daß ein deutscher Demokrat endlich das Recht bekäme, seinen Mund aufzumachen und seine Meinung zu sagen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht – zumindest deutet in Ihrem Artikel nichts darauf hin –, ob Sie einer dieser Demokraten sind, für die ich gekämpft habe.

[ . . . ] Ich weiß nicht, wie lange Sie bei uns im Zeugenflügel unseres Gerichtes eingesperrt waren, eine so schöne und rührende Beschreibung von unseren Verhörmethoden zu geben. Einschüchterung, Drohungen, Versuche, unrichtige Protokolle unterschreiben zu lassen – das alles könnten Sie aus einem alten Bericht über die Gestapo abgeschrieben haben, wenn ich nicht wüßte, daß Sie diesen Artikel ja nie hätten veröffentlichen können. [ . . . ] Aber die Zeugen, die wir hier haben, wurden in Haft gehalten, weil sie von den Gerichten ihres eigenen Landes, nämlich Deutschland, unter Anklage gestellt wurden.

[ . . . ] Und jetzt können Sie plötzlich nicht mehr schweigen, weil Achenbach und sechs Krupp-Anwälte verhaftet worden sind. Warum konnten Sie schweigen, als Achenbach die Verbrechen beging, deretwegen die deutschen Behörden ihn verhaftet haben? [ . . . ] Achenbach hat hier unter Eid ausgesagt, daß er mit den in Frankreich begangenen Kriegsverbrechen, darunter Geiselmorde, nicht nur nichts zu tun hätte, sondern nicht einmal etwas davon wüßte. Wenige Tage nach dieser Aussage unter Eid erhielten wir Dokumente aus Paris, die seine Unterschrift trugen und alle bewiesen, was wir zu wissen geglaubt hatten. Trotzdem haben wir ihm erlaubt, die Verteidigung zu übernehmen, weil wir der Meinung sind, daß ein Nazi einen anderen Nazi mit mehr Überzeugung verteidigen kann als ein Mann, der Demokrat ist und dem vor dem Angeklagten graut.

[ . . . ] Ich übergehe den nächsten Absatz Ihres Artikels, in dem die Tatsachen so entstellt beschrieben sind, daß es mir um das Papier leid tut sowie um die Finger meiner Sekretärin, die ich bei einer Beantwortung übermäßig abnutzen würde. Lesen Sie doch einfach irgendeinen deutschen Agenturbericht über die wahren Vorgänge.

[ . . . ] Beschimpfen Sie die Nürnberger Gerichte, soviel Sie wollen, sie bleiben doch eine Einrichtung, an der man mit Stolz mitarbeiten kann. Wenn Sie einmal begriffen haben werden, was Demokratie ist, dann werden Sie auch das begreifen.

Mit freundlichen Grüßen
George S. Martin
Deputy Public Relations Officer



Quelle: Die Zeit, 12. Februar 1948

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